Press-Schlag: Elf Paukenschläger
■ Berti Vogts ist Europas Fußball-Guru
„Man kann nicht mit elf Oistrachs spielen, man braucht auch einen Paukenschläger“, hatte Opernfreund Helmut Schön einst sehr hübsch jene Weisheit formuliert, die Argentiniens Coach Carlos Bilardo später erheblich simpler auf den Punkt brachte: „Mit elf Maradonas wird man nicht Weltmeister.“ Wie fast alle Theorien des Weltmeistertrainers von 1986 darf auch diese bezweifelt werden, selbst wenn es gewisse Probleme auf der Torwartposition und bei der Dopingkontrolle geben könnte. Auf jeden Fall wird man mit elf Maradonas eher Weltmeister als mit elf Paukenschlägern, sprich: elf Bertis. Unglücklicherweise droht letzteres zumindest in Europa der vorherrschende Trend zu werden.
Nachdem es Berti Vogts mühsam hinbekommen hat, daß alle seine Akteure so spielen wie er früher, und das deutsche Team auf diese Weise Europameister wurde, ist er nicht nur vom Deppen der Nation zum Verdienstkreuzträger aufgestiegen, sondern auch zum Vorbild der Trainerschaft minderbemittelter Fußballnationen avanciert. „Ich bin ein großer Fan von Berti Vogts“, ließ Nordirlands Coach Bryan Hamilton in Nürnberg wissen, lange Zeit habe er die deutsche Mannschaft genau studiert. Bei der EM hatte er Analysen vorgenommen und war Berti Vogts sogar nach Jerewan gefolgt, um beim 5:1-Sieg gegen Armenien letzte Aufschlüsse zu erhalten. Die Folgen dieser Forschungsreise waren beim 1:1 im Frankenstadion zu bewundern.
„Ich habe einige seiner Ideen kopiert und einige seiner Glaubenssätze übernommen“, erklärte Hamilton. Die Mannschaftsleistung stehe im Vordergrund, es sei darauf angekommen, in Sachen „Ehrenhaftigkeit, Arbeit und Teamwork“ mitzuhalten. Folgerichtig standen in Nürnberg 20 Grätscher auf dem Platz, die sich die Zunge aus dem Hals rannten und deren Hauptbeschäftigung darin bestand, auf den nächsten Gegner loszuhetzen, die Räume eng zu machen und den Ball an sich zu bringen, ohne allerdings zu wissen, was mit dem verdammten Ding zu tun war, wenn man es einmal hatte. Am besten hoch in den Strafraum, wo gewonnene Kopfballduelle am ehesten Kreativität ersetzen können. Schließlich hat man ja gesehen, was Italien mit seinem Edelfußball widerfahren ist.
Titelgewinne haben stets Vorbildfunktion, und als Brasilien Weltmeister wurde, bestand kurzzeitig die Hoffnung, deren moderner, relativ angriffsorientierter Stil würde Schule machen. In Europa zumindest ist es damit seit Juni vorbei, denn das Paukenschläger-System hat gegenüber dem brasilianischen den Vorteil, daß es im Prinzip jeder kann. Der Verkohlung der europäischen Politik folgt solchermaßen unbarmherzig die Bertisierung des europäischen Fußballs. Matti
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