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Elementare Interessen

In Ellerhoop planen Hamburger Physiker einen neuen unterirdischen Teilchenbeschleuniger. Für das Forschungszentrum sollen Wohnhäuser weichen  ■ Von Stefanie Hundsdorfer

„Unter der alten Eiche hier wird die Mitte des Tunnels sein.“ Carola Trepka blickt aus ihrem Küchenfenster. Ihre Augen bleiben an dem Baum hängen. Gleich hinter der Hecke, die das Grundstück der Trepkas begrenzt, heben sich seine Äste vom Himmel ab. Davor der Garten. Das selbst gebastelte Vogelhäuschen, der Teich, das Gewächshaus am Ende des Gartens. Sie alle sind Zeugen von 20 Lebensjahren. So lange schon bewohnt die 41-jährige alleinerziehende Mutter zweier Kinder das kleine Backsteinhaus auf dem Lande, etwas mehr als einen Kilometer südlich von Ellerhoop, einer 1200-Einwohner-Gemeinde im Kreis Pinneberg.

Der Tunnel, von dem Carola Trepka spricht, wird 33 Kilometer lang sein und einen Durchmesser von fünf Metern haben. Die Größe seiner Benutzer aber wird weniger als ein Milliardstel eines milliardstel Meters betragen: Die Rede ist von Elementarteilchen. Für diese kleinsten Einheiten der Materie plant das Hamburger Teilchen-Forschungszentrum „Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY)“ einen Beschleuniger namens TESLA. Dieser soll in dem Tunnel aufgestellt werden. Zehn bis dreißig Meter unter der Erdoberfläche wird er sich auf einer Strecke vom DESY-Gelände in Bahrenfeld Richtung Nordwest bis ins schleswig-holsteinische Westerhorn erstrecken.

In dem Tunnel werden sich zwei Beschleuniger frontal gegenüberstehen. Der eine in Bahrenfeld bringt Elektronen-Pakete, der andere in Westerhorn Positronen-Pakete praktisch auf Lichtgeschwindigkeit. In der Mitte des Tunnels – südlich von Ellerhoop – prallen die Teilchenpakete aufeinander, etwa 5000mal pro Sekunde. Dabei entstehen neue, exotische Teilchen, die die Physiker mit haushohen Detektoren nachweisen wollen. Zudem erzeugt der Linearbeschleuniger Röntgenstrahlung mit laserartigen Eigenschaften.

An der Kollisionsstelle ist ein 40 Hektar großes Forschungszentrum geplant. Bis zum Jahr 2010 soll TESLA fertiggestellt sein. Klappt dies, was in den nächsten beiden Jahren entschieden werden wird, muss das Haus von Carola Trepka diesem Forschungszentrum weichen.

„Du bist sowieso bald weg, DESY kommt.“ Dieser Satz konfrontierte Carola Trepka vor sechs Jahren zum ersten Mal mit TESLA. „Wir saßen damals mit Leuten aus dem Dorf hier am Küchentisch“, erzählt sie. Ihre Hände sind ständig in Bewegung, immer wieder streicht sie sich durch die braunen Haare. „Ich habe damals nicht reagiert. Ich wusste gar nicht, was DESY bedeutet.“ Erst ein paar Wochen später habe sie kapiert. Jetzt, wo sie das weiss, will sie ihr Grundstück vor TESLA retten.

Mit dem Planfeststellungsverfahren ist das Oberbergamt Claus-thal betraut. Die betroffenen Anwohner können auf öffentlich ausgeschriebenen Erörterungsterminen ihre Bedenken gegen TESLA äußern. Sie bezweifeln jedoch, über das reine Gehör hinaus tatsächlich Einfluss zu haben. „Ich sehe keine Chance für die Bürgereinsprüche, TESLA zu Fall zu bringen“, meint TESLA-Baukoordinator Wilhelm Bialowons. Mit dem Planfeststellungsverfahren werde aber ohnehin erst begonnen, wenn die Finanzierung von TESLA abgesichert sei, betont Bialowons. Entscheidend sei die Zustimmung der Bundesregierung, die rund 50 Prozent der mehrere Milliarden hohen Kosten zu tragen haben.

Im Rahmen eines Kolloquiums an diesem Freitag und Sonnabend auf dem DESY-Gelände soll ein Gutachten über die gesamte Planung an den Wissenschaftsrat übergeben werden. Dieser berät die Bundesregierung in Sachen TESLA. Gibt die Regierung grünes Licht, wird ab 2003 mit dem Bau begonnen.

„Ich sage ja immer, TESLA kommt nicht, das scheitert am Geld.“ Carola Trepka klingt ein bisschen hilflos. „Nein, wenn TESLA kommt, sehe ich keine Zukunftsperspektive.“ Ihre sechzehnjährige Tochter steckt mitten in der Ausbildung, der zwei Jahre jüngere Sohn geht noch zur Schule. Sie selbst hat eine Stelle als Berufsschullehrerin in Pinneberg und betreibt nebenher noch Landwirtschaft. Und: „Man hat ja seine Freunde hier.“

„Welchen Nutzen sollte ich von TESLA haben?“ Die Augen von Carola Trepka blicken fragend. Die von DESY erzählten ihr immer von irgendwelchen Herzkranzgefäßen, die sie mit dem Röntgenlaser besser durchleuchten könnten. Und vom Fortschritt, der nicht stillstehen könne. Die Berufsschullehrerin lässt das nicht gelten. „Ist die Menschheit etwa glücklicher, nur weil sie ein Higgs-Teilchen entdeckt hat?“ Von Entschädigungszahlungen, die ihr im Falle des Baus von TESLA durch das Bundesvermögensamt zustünden, hält sie nicht viel. „Ich glaube nicht, dass ich dann als wandelnde Millionärin durch die Gegend laufe.“

Fantasie, Vertrauen und Glauben. Das sei alles, was Leute wie Carola Trepka brauchen würden, meint DESY-Mitarbeiter Bialowons. „Schließlich wird durch DESY vieles schöner werden in Ellerhoop“, schwärmt er. Dann erzählt er von wunderschönen Naturgeländen und der Renaturierung von Flächen.

Wunderschöne Naturgelände hat Carola Trepka vor ihrem Küchenfenster genug. Noch. Kommt TESLA, wird hier eine unterirdische Experimentierhalle gebaut. Rundherum soll eine Stadt aus Forschungshallen, Bürogebäuden, Werkstätten und Versorgungseinrichtungen entstehen. Daran, so Trepka, ändere auch Fantasie nicht viel.

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