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Eisiges Gelächter

Schmaler Grat: Das israelisch-deutsche Teatron Theater und das figuren theater tübingen reflektieren in der Koproduktion „Kinder der Bestie“ Traumata der zweiten Generation nach dem Holocaust

von PETRA SCHELLEN

Wer fabuliert besser: Realität oder Erinnerung? Und kommt der Vergangenheit wirklich näher, wer akribisch Dokumente filzt? Oder ist es eher die Neukomposition von Erinnerungspartikeln, die echte Annäherung bringt: Zum Beispiel beim Thema Holocaust, dem sich das Stück Kinder der Bestie, jetzt zu sehen beim Festival Politik im Freien Theater, widmet? Zwischen etlichen Erzählebenen changiert die an David Grossmans Roman Stichwort: Liebe (1986) angelehnte Inszenierung, eine Koproduktion des israelisch-deutschen Teatron Theater (Arnsberg/Jerusalem) und des figuren theater tübingen.

Schauspieler (Yehuda Almagor), Puppenspieler (Frank Soehnle) und Puppe umschreiten einander darin. Sie mühen sich ab mit dem Ungesagten – und schaffen es doch kaum, Erinnerung in Sprache zu stülpen. Der neunjährige Momik sucht in Roman und Stück das Schweigen seines dem KZ entronnenen, traumatisierten Großvaters zu füllen, aus dem nur Worte wie „Nazi kaputt“ hervorbrechen. Der Rest sind elterliche Alpträume, Traumata und die stete Rede von der „Nazibestie“.

Was diese Bestie denn sei, fragt Momik – und hier beginnt das perfide Spiel mit dem Bild: „Aus jedem Tier kann sie herauskommen, die Nazibestie, du musst ihr nur das richtige Fressen geben“, sagen die Eltern. Und Momik ist konsequent: Igel, Frosch, Katze und Raben versammelt er im Keller. Er füttert, schaut, lockt. Aber die Nazibestie kommt nicht raus. Momik wütet – und folgert verstörend Wahres: Die Bestie „hat die Fälschung bemerkt“. Vielleicht zeigt sie sich überhaupt nur, wenn man sie nicht erwartet. Und zur Tarnung kann sie bestimmt auch ihre Fressgewohnheit ändern.

Eisig schmal ist der Grat zwischen Komik und Entsetzen in dieser Inszenierung, elegant in eine Form gebracht, bei der Gelächter Mut erfordert. „Humor ist als Grundtimbre, das das Erzählen unterlegt, wichtig“, glaubt der in Haifa geborene Yehuda Almagor, der mit Unterbrechungen seit 1991 in Deutschland lebt – dem Jahr, in dem er auch das Teatron Theater gründete. „Humor ist nötig, damit die Dinge ein bisschen kleiner werden. Auch den Holocaust muss man auf diese Art kleiner machen. Damit man endlich ohne Schuldzuweisungen darüber reden kann.“ Darüber reden, schreiben, damit spielen – und immer wieder versuchen, ein Thema zu ertasten, das sich permanent entzieht. „Nur durch Erzählen kann man das Trauma erträglicher machen“, sagt Almagor. „Nur Sprache kann es schaffen, Geschichte nicht nur zu rekonstruieren, sondern weiter zu schreiben wie Momik, der im zweiten Teil unseres Stücks als erwachsener Autor mit dem Stoff ringt.“

Trotzdem – eine Bürde wird bleiben. „Aber die israelische Gesellschaft muss nicht zwangsläufig in ihrer Opfer-Psychose verharren“, betont Almagor. „Denn genau diese Haltung behindert die israelische Politik: die Weigerung anzuerkennen, dass jeder Gewaltpotenziale in sich trägt, oder, wie Grossman sagt: Die Nazibestie ist in jedem von uns. Diese Opfer-Psychose, die ich im Zusammenhang sehe mit der Ausübung von Gewalt, verhindert eine angemessene Lösung des Nahost-Konflikts.“

Thesen, die die israelische Gesellschaft spalten und mit denen auch David Grossman regelmäßig aneckt: Zwar ist er als Kinderbuch- und Romanautor hochdekoriert. Reportagen über Israel als harte Besatzungsmacht (Das Lächeln des Lammes, 1983) und die gesellschaftliche Ausgrenzung der Araber mit israelischem Pass (Der geteilte Israeli, 1992) haben die israelische Gesellschaft allerdings in Aufregung versetzt – und erst recht der Roman Stichwort: Liebe: Als Nachgeborener über den Holocaust zu schreiben, gilt dort als ebenso grober Tabubruch wie die Aufweichung des Täter-Opfer-Schemas.

Doch Grossman hält den Zwiespalt aus, den Schauspieler Almagor in Kinder der Bestie auf seine Art löst: durch die Vermengung der Theaterformen, die weder dem Wort noch dem Bild puristisch huldigen.

Premiere: Mittwoch, 23. Oktober, 20 Uhr, Malersaal des Schauspielhauses. Weitere Vorstellungen: 24. 10., 11 + 20 Uhr

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