piwik no script img

Einstürzende Neubauten

■ Die Kneissl-Brücke über dem Inn, die täglich 50.000 Autos trug, hat den Geist aufgegeben

Das i-Tüpfelchen für den ohnehin akuten Verkehrsinfarkt dieses Sommers ist der Beinahe-Einsturz der Inntal-Brücke. Seit Donnerstag ist die 450 Meter lange Autobahnbrücke, die als wichtigste Straßenverbindung über die Alpen und den Brenner-Paß und nach Italien zählt, geschlossen. Einer der Hauptpfeiler der Brücke, der mitten im Inn steht, hat sich um mehr als einen halben Meter abgesenkt und verdreht und droht sich weiter in das Flußbett zu bohren. Wird hier der kritische Punkt überschritten, stürzt das milliardenschwere

-vollkommen einsturzsicher konstruierte und 1968 eingeweihte - Bauwerk in sich zusammen. Experten nehmen an, daß der Brückenpfeiler unterspült worden ist und sich deshalb abgesenkt hat. Auch ein Erdzittern wird als Ursache nicht ausgeschlossen. Nach dem letzten Stand soll sich der Pfeiler immerhin wieder „beruhigt“ haben. Auch die direkt unter der Brücke laufende Bundesstraße und die Eisenbahnlinie München-Innsbruck mußten gesperrt werden.

Lastwagen können die Inntalstrecke überhaupt nicht mehr passieren und müssen die bayerisch-österreichischen Grenzübergänge Kufstein/Kiefersfelden umfahren. Der Autoverkehr quält sich seit Donnerstag im Stop & Go-Verkehr durch das Stadtgebiet von Kufstein. Trend: Zehn Meter in fünf Minuten. Die Züge von und nach Italien wurden über Salzburg oder über Mittenwald nach Innsbruck umgeleitet.

Schon am Donnerstag brach der Verkehr am Nachmittag in Richtung Brenner bei 28 Grad im Schatten völlig zusammen. Tausende Autos stauten sich kilometerweit über den Grenzübergang bis nach Bayern zurück. Auch alle Ausweichrouten waren restlos überlastet. Selbst dem ADAC, sonst mit Ausweichempfehlungen schnell bei der Hand, fällt wenig ein. Das Nadelöhr „großräumig umfahren“, rät der automatische Anrufbeantworter den Autofahrern.

Auf eine provisorische Reparatur der Brücke kann niemand hoffen. Monatelange Behinderungen und Staus sind vorprogrammiert. Frühestens im Sommer nächsten Jahres könnte die Brücke wieder auferstanden sein, glauben die Experten. Ob sie abgetragen oder gesprengt werden muß oder ob sie die billigste Lösung - von selbst zusammenkracht, ist bis zur Stunde unklar.

Die Inntalbrücke wird im Jahresdurchschnitt täglich von 17.000 Autos überfahren. In Spitzenzeiten wie jetzt zur Urlaubssaison passieren täglich rund 50.000 Autos den Viadukt.

Der österreichische Verkehrsminister Streicher sagte gestern, man sei „haarscharf an einer Katastrophe vorbeigekommen“. Er verlangte, daß der Autoverkehr umgeleitet wird, bevor er überhaupt österreichischen Boden erreicht. In der allgemeinen Hilflosigkeit wurde erstmal ein Brücken-Sorgen-Telefon eingerichtet. Die Länge der Staus, die Hitzetemperaturen, Suizide und die Anzahl der erschlagenen und kollabierten Autofahrer wird dort unter 0043/222/853535-223 durchgegeben.

manfredo

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen