■ Hans Koschnick zur internationalen Bosnien-Politik: „Einsatz der Nato – nur ein Bluff!“
taz: Herr Koschnick, ist Ihre sowieso schon stockend vorangehende Arbeit als Administrator der Europäischen Union in Mostar dadurch erschwert worden, daß die internationale Gemeinschaft die Menschen in den UNO-Enklaven Srebrenica und Žepa ihrem Schicksal überlassen hat?
Hans Koschnick: Sicherlich hat das Verhalten der UNO Einfluß auf die gesamte Atmosphäre in Bosnien-Herzegowina. Was das „Stocken“ der Arbeit anlangt, damit bin ich nicht einverstanden. Es ist, was den Wiederaufbau der Stadt Mostar betrifft, viel geschehen in diesem Jahr. Die Wasser- und Stromversorgung funktioniert wieder. Wir haben den Wiederaufbau der Stadt angepackt. Die Feindschaft zwischen den Bevölkerungsgruppen ist zwar noch nicht überwunden – es herrscht noch Mißtrauen –, aber es geht voran.
Doch nach wie vor scheitern wir daran, die Menschen wieder zusammenzubringen. Eine Seite, die kroatische, unterminiert alle Anstrengungen. Die muslimisch-bosniakische Ostseite der Stadt hingegen ist kooperationsbereit. Mostar ist wichtig für die Föderation zwischen Kroaten und Bosniaken, die 1994 in Washington vereinbart wurde. Wenn die kroatische Seite weiter blockiert, muß man sich fragen, ob sie die Föderation überhaupt will.
Werden die Kroaten wieder die Teilung Bosniens fordern, wenn Karadžić weiter Erfolg hat?
Die Kroaten und Serben Bosniens haben zwei Optionen für die Zukunft. Sie können mit ihrem jeweiligen Nationalstaat, also Serbien oder Kroatien, zusammengehen, oder sie können sich für die Wiederherstellung Bosnien-Herzegowinas einsetzen. Die Bosniaken aber haben nur eine Wahl: Bosnien-Herzegowina.
Wird mit dem Fall Srebrenicas und Žepas die Option für ein einheitliches Bosnien nicht ausgehöhlt? Unterstützt die internationale Gemeinschaft, weil sie die Schutzzonen nicht geschützt hat, die Teilung Bosniens?
Zunächst einmal beabsichtigt Karadžić, mit der Vertreibung der Menschen aus den Enklaven wieder Zündstoff in das kroatisch-bosniakische Verhältnis zu legen. Denn die Vertriebenen verändern, so zynisch das klingt, die demographische Zusammensetzung Zentralbosniens, der Prozeß der Rückführung der kroatischen Bevölkerung in diese Region wird erschwert. Diese Ereignisse verändern die Grundlagen der kroatisch-bosnischen Föderation. Damit verschlechtert sich indirekt auch die Lage in Mostar.
Und die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, der UNO?
Verantwortlich ist der Weltsicherheitsrat. Dort fallen die Entscheidungen. Sie sehen ganz anders aus als das, was die Mitglieder des Sicherheitsrats zu Hause der Bevölkerung gegenüber als beschlossene Politik ausgeben. Im Weltsicherheitsrat wird nach dem Gesichtspunkt des kleinsten gemeinsamen Vielfachen vorgegangen. Der Großteil der Erklärungen, die von den Regierungen herausgegeben werden, sind für den Hausgebrauch bestimmt, zur Beruhigung der Wähler.
Die Weltgemeinschaft versucht nicht ernsthaft, in Bosnien eine Friedenspolitik durchzusetzen. Sie stellt nicht die Mittel bereit, um die Menschen aus der Gefahrenzone zu bringen. Die Nato ist kein eigenständiges Instrument. Da sich kein Land der Nato im Kriegszustand befindet, kann sie nur auf Weisung des Weltsicherheitsrates handeln. So ist auch der Einsatz der Nato nichts als ein Bluff.
Hat die „Schnelle Eingreiftruppe“ einen Wandel bewirkt?
Nur dann, wenn sie nicht nur eingesetzt wird, um einen Rückzug der UNO-Truppen vorzubereiten. Ich hoffe, daß sie dies nicht tut, sondern in der Tat versucht, einen freien Korridor nach Sarajevo zu sichern. Für die Menschen in Sarajevo und für ihre tolerante, allen Kulturen gegenüber offene Haltung wäre es unendlich wichtig, nach über 1.200 Tagen des Eingeschlossenseins wieder einen freien Zugang zur Welt zu haben.
Hat man den Menschen etwas vorgemacht?
Genau. Wenn man Srebrenica und Žepa nicht verteidigen kann, dann muß man dies vorher offen sagen. Wenn man es will, dann muß man konsequent handeln, man muß einhalten, was man verspricht oder es gar nicht erst versprechen. Kein Staat in Westeuropa will in den Krieg verwickelt werden. Wenn das so ist, dann muß man fragen, wo sind die Grenzen unserer Einflußmöglichkeiten, was kann ich gegenüber der eigenen Bevölkerung noch vertreten, was mache ich hier? Mein Vorwurf gegenüber der internationalen Gemeinschaft zielt darauf, daß sie den Großteil ihrer Werte, für die einzutreten sie einmal gegründet worden ist, einfach preisgibt. Auf der anderen Seite wird Aktionismus entfaltet, der nichts bringt. So nach dem Modell Somalia, einfach reinmarschieren, irgendwas tun, ohne darüber nachzudenken was, und dann wieder raus. Das macht mich so wütend, weil ich die Lage der Menschen hier kenne.
Im Klartext: Viele der „Vermittler“ wollen Bosnien teilen.
Es sind viele der Positionen aufgeweicht worden, so zum Beispiel die der Kontaktgruppe. Seit einiger Zeit wird eine Formulierung Karadžićs gebraucht, nämlich die, bei dem Kontaktgruppenplan handele es sich um eine „Diskussionsgrundlage“, er sei eine „Basis für Gespräche“. Wiederum scheint ein Teil der früheren Positionen aufgegeben worden zu sein. In welcher Welt leben wir eigentlich? Zuerst wurde gesagt, es werde keine Veränderung der Grenzen geben. Die Souveränität Bosnien-Herzegowinas werde respektiert. Daß jetzt der Eindruck von Verrat bei der bosnischen Bevölkerung auftaucht, ist wohl verständlich.
Die Frage ist doch, geht die UNO den Weg des Völkerbundes vor dem Zweiten Weltkrieg. Eines Völkerbundes, der Schritt für Schritt vor den Nazis und vor den Faschisten zurückgewichen ist? Denken Sie an Abessinien 1935, an Spanien 1936. Heute wird der Staatsterrorismus, ein neuer Totalitarismus akzeptiert, der Völkermord begeht. Zwei Dinge hatten wir uns nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommen: nie wieder Auschwitz, nie wieder Hiroshima. Und jetzt erleben wir den Genozid an einer Bevölkerungsgruppe, der der Bosniaken.
Was soll mit der UNO geschehen?
Die UNO muß wieder zu ihren Grundlagen zurückfinden. Dem Völkerrecht und den Menschenrechten muß Geltung verschafft werden. Die UNO hat ja im Nordirak eingegriffen, um die kurdische Bevölkerung zu schützen. Es geht also. Allerdings scheint sie nur zu handeln, wenn Interessen von Großmächten auf dem Spiel stehen. Die UNO verkommt aber, wenn sie ihre Prinzipien verleugnet. Interview: Erich Rathfelder
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