: Einmal alles sein, ach
Im Gespräch: Theaterregisseur Michael Talke und die Medienwissenschaftlerin Susanne Fengler über die öffentliche Inszenierung von Macht in Friedrich Schillers „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ und den heutigen Parteizentralen
Sie ist Kommunikationswissenschaftlerin und hat während des Bundestagswahlkampfs 2002 in der CDU-Parteizentrale die Werbekampagne für Edmund Stoiber und Angela Merkel mitgestaltet. Auf Du und Du mit dem Willen zur Macht – und seiner Inszenierung als Schauspiel der Demokratie. Susanne Fengler beschreibt ihre Erlebnisse in dem Roman „Fräulein Schröder“. Regisseur Michael Talke spürt derzeit am Bremer Theater dem Willen zur Macht in Schillers Politdrama „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ nach. Wie steht es um das Wesen der Demokratie: die Macht? Wir baten Fengler und Talke zum Gespräch.
taz: Gab es 1782 bei Schiller schon Medienberater?
Talke: Wir entdecken in dem Stück heutige Stilisierungen von Herrschaft. Auch damals ließen sich Menschen des öffentlichen Lebens beraten über Strategien, Macht zu erlangen oder zu erhalten. Fiesco hat Muley Hassan. Wenn man diesen Mohren freischaufelt von all den Theaterklischees, die Schiller auf ihn draufpackt, kann man ihn durchaus als persönlichen Berater sehen, der seinen Chef beim Wahlvolk beliebt macht. Außerdem hat Fiesco seine Partei, die er um sich schart, für sich kämpfen lässt. Die aber auf seine Entscheidungen keinen Einfluss hat.
Die Parteibasis als notwendiges Übel, die zwar lästige Fragen aufwirft, aber Stimmen bringt und Plakate klebt, das klingt ja ganz nach der Bremer SPD und Henning Scherf, sehr aktuell also.
Fengler: Der Mohr ist wirklich interessant, da er erst für die Familie des Dogen, dann für die Gegner arbeitet. So wie auch PR-Agenturen heutzutage für die SPD und die CDU gleichzeitig engagiert sind. Es geht nicht um das politische Ziel, sondern ums Geld, das beste Arbeitsumfeld, die reizvollste Aufgabe. Für die Mechanismen des Marketings ist das Ziel austauschbar. So wie Parteien und Politiker immer austauschbarer werden, wird das auch die Werbung für sie.
Talke: Wir fragen auch immer, welche Winkelzüge sich hinter welcher öffentlichen Darstellung verbergen. Man kann keiner Nachricht trauen, muss immer mitdenken, wem sie wie dient.
Sind die alten und neuen Fiescos idealistische Streber oder Egomanen?
Talke: Fiesco ist am Ende der Herzog und damit oberster Militär. Da sagt er nicht, ich trete als Republikaner von der Machtfülle zurück. Er will genauso sein wie sein despotischer Vorgänger. Das individuelle Machtinteresse ist wesentlich größer als jede idealistisch demokratische Idee. Das Machtstreben entwickelt eine Eigendynamik. Bei Fiesco kann man lernen, dass jemand wie Schröder der Macht erliegt, ihrem Rausch. Einmal alles sein.
Fengler: Wie auch bei Joschka Fischer. Es ging mit idealistischem Steinewerfen los. Dann beschreitet er den Gang durch die Institutionen, lernt die Hebel der Macht zu bedienen, erliegt dem Reiz, da oben wirklich was zu erreichen.
Welches waren, welches sind die Rollenvorbilder, nach denen sich Macht inszeniert.
Talke: Fiescos Leonore preist ihren Mann wie einen antiken Helden. So wie die in irgendeinem Kunstsalon ausgestellte Apoll-Skulptur von Schlagmichtot, die Schiller gesehen hat. Denkt man heute an Macht, denkt man an Arnold Schwarzeneggers Terminator, dessen Posen Politiker heute durchaus nutzen.
Ist der Wille zur Macht eine anthropologische Grundkonstante, eine Eigenschaft der gesellschaftlichen Elite, eine psychische Krankheit?
Fengler: Sie ist nicht bei jedem so ausgeprägt, aber nie nur schlecht, böse, krank. Machtwille hat auch etwas Kreatives, Produktives.
Wie hat sich die Inszenierung von Macht verändert?
Talke: Früher inszenierte man sich in Wirtshäusern, auf öffentlichen Plätzen und Gemälden. Heute sind es die Medien. Die Strategien dabei eskalieren. Wenn auf dem Höhepunkt der Hartz IV-Kritik die „Bild“ mit einer Homestory herauskommt, Schröder habe ein russisches Mädchen adoptiert, und wenn daraufhin die Sympathiewerte für ihn wieder deutlich steigen, ist das schon erschreckend perfekt, wie zutiefst Privates gegen schwindende öffentliche Macht eingesetzt wird.
Fengler: Wir bewundern aber auch, wie souverän der Kanzler über die Öffentlichkeit gebietet. Dass er zeigt, wie genussvoll Macht sein kann: Partys, Zigarren, junge Frau.
Doris Schröder-Köpf, kann das der Reiz der Macht sein?
Talke: Einfluss, Reichtum – durchaus ein faszinierendes Leitbild. Auch der Fiesco. Wie er sich über alles hinwegsetzt, außerhalb der bürgerlichen Norm agiert und alle anderen zu nörgelnden Kleinbürgern degradiert: sehr verführerisch.
Fengler: Macht ist faszinierend – im Weißen Haus sitzen und wirklich der Punkt der Welt sein, wo Entscheidungen über Krieg und Frieden getroffen werden.
Sprechen all die Fiescos ehrlich gemeinte Sätze?
Talke: Nicht einer fällt mir bei heutigen Politikern und im Stück auf. Selbst als dort Julia verkündet, dass sie Fiesco anbetet, ist das nur abgekartetes Spiel, nur eine Art „Traumhochzeit“-Show, so klischiert sind die Sätze. Werden aber benutzt zur Attraktivitätssteigerung Fiescos.
Dieses herzlose, kalte Spiel bedarf der Emotionalisierung?
Talke: Wie Schröder hat auch Fiesco seine Tricks. Nach missglücktem Attentat drückt er dem Mohren das Messer in die Hand und ruft „Mörder“, lässt ihn den Mörder spielen. Das Volk ist aufgebracht – und findet Fiesco plötzlich sympathischer als zuvor. Heute würde die „Bild“-Schlagzeile „Attentat auf Fiesco“ diese Funktion erfüllen.
Wenn Fiesco die Medien von heute gehabt hätte, hätte er den Wahlkampf gewonnen?
Talke: Nein, er kriegt seine Partei nicht ganz hinter sich, motiviert sehr ungeschickt. Sein Mitverschworener und späterer Gegenspieler Verrina macht nur halb so viele Worte, lässt Fiesco alles erledigen, den Putsch, den Aufstand, die Schweinearbeit an der Parteibasis – und reißt dann das Spiel sehr geschickt an sich.
Fengler: Fiesco ist Oskar Lafontaine und Verrina ist Schröder!
Geht es um die Republik?
Talke: Das diskutiert Schiller überhaupt nicht. Republik bleibt ein imaginärer Begriff.
Fengler: Statt Republik könnte man in Fiescos Reden auch heutige Parteitagsslogans einsetzen: „Kraft“, „Für Deutschland“.
Politik verstanden als Theatergenre …
Talke: … dann wäre „Fiesco“ auf der Maskenspielebene: Boulevard. Auf der Ebene der Frauenfiguren: Soap – so trivial ist Schiller da. Die Realität von Politikalltag wäre unsexy …
… dröges Redetheater?
Fengler: Also Stadttheater!
Talke: Mit Schröder im Kanzleramt als Fiesco . . .
Fengler: … ein Fiasko.
Moderation: fis
Bremer Schauspielhaus: „Fiesco“-Premiere am 9.10., 20 Uhr; Lesung von Susanne Fengler: 30.11, 20 Uhr