: Einmal Alptraum und zurück
■ Mit Kraft und Dampf befeuert: Im Freien Schauspiel Neukölln ist „Papa Mama“ von Lothar Trolle zu sehen
Es geschah an einem ganz normalen Sonntag. Da ärgerte sich der Papa über die noch im Bett liegende Mama, nahm das große Küchenmesser in die Hand und sprach: „Heut mach' ich Schluß.“ Doch gleichzeitig ärgerte sich die Mama über den faulenzenden Papa, nahm einen Strick und sagte: „Heut wird hier einer fehlen, doch das bin nicht ich.“ Und das Kind, das Papa und Mama belauscht hatte, klatschte in die Hände und freute sich: „Heut gibt's zwischen meinen Eltern Krach, wird das ein Spaß.“ Es war also alles ganz normal, die Familie betete am Frühstückstisch, sang „Heut ist ein wunderschöner Tag“, bereitete den Braten vor, als Papa forsch zur Tat schritt und Mama in den Wald führte und aufknüpfte: Nun hatte er das Mittagsmahl allein. Doch der Braten wollte nicht gar werden. Also beschloß er, nicht hungrig weiterzuleben, und hängte sich ans andere Ende des Seils, wurde mittels Schwerkraft hochgezogen, und seine Frau landete wieder auf dem Boden. Da freute sich die Mama, den Alten baumeln zu sehen, doch dann hatte sie mächtige Angst im dunklen Wald. Also befreite sie den Gatten, und gemeinsam machten Papa und Mama sich ans große Fressen. Wie an einem ganz normalen Sonntag.
Dieses Stück ist klein und bös. Grinsend entlarvt Lothar Trolle den braven Bürger als Bestie, zeigt den Festtagsschmaus als Graus, parodiert en passent in einem Zwischenspiel Fausts Osterspaziergang und kommentiert dies Spektakel, das einer grandiosen Windbeutelei Alfred Jarrys nahekommt, mit trocken-komischem Geknittel: „Wer von der Welt betrogen ward, der sollte sie verlassen / Dem schenkt der Tod ein tiefes Loch und kalte Erd zu essen!“
Um soviel Aberwitz gerecht zu werden, muß sich das Regieteam aber allerhand einfallen lassen. Am Freien Schauspiel hat Ausstatter Dirk Czernomoriez den winzigen Einheitsbühnen- und Zuschauerraum zu einem etwas größeren Plumpsklo umgebaut. Die Wände sind aus derben Brettern, die Tür schmückt ein Herzchen, und der Stolz des Raumes sind zwei hölzerne Throne: Darin wohnen Papa und Mama. Er trägt Schlafanzughosen, ein reines Unterhemd und ein zerknautschtes dümmliches Lächeln. Sie eine Schürze und gelassene Langeweile. Und irgendwo am Boden krabbelt noch ein pummeliges Kind mit Riesenzöpfen herum und brabbelt vorlaut vor sich hin.
Mit dieser häßlichen Familie entfaltet Regisseur Utz Qualmann nun eine gemäßigte Kasperliade. Gemäßigt grimassierend, leicht augenrollend, gehen Papa und Mama aufeinander los wie Kasperle und das Krokodil. Sie schlagen sich Klodeckel auf die Schädel, brüllen und lachen über des anderen Tod, tollen und rollen über den Boden, poltern und klabautern mit einem Holztisch. Und tun und machen viel, sehr behäbig, sehr laut und interpretieren Trolle so als rustikal ostdeutsche Variante des französischen Absurden Theaters.
Richtig komisch ist das leider nicht. Auch nicht schrecklich. Es liegt irgendwo dazwischen. Auf jeden Fall verfehlt dieses Theater, das sich aus Unentschlossenheit mit Kraft und Dampf befeuert, entscheidend das Stück, das gerade gut gefällt, weil es so unverschämt kaltblütig ist. Und klug. Und knapp. Nicht dumm. Nicht dick. Weil es stocknüchtern vom Alltag in den Alptraum spaziert und wieder zurückmarschiert. Weil es uns mit seinem Witz kitzelt und als Darsteller eher einen Loriot denn einen Gaudimax verträgt. Kurz: Weil es spitz ist wie ein Blitz. Nicht breit wie die Müdigkeit. Dirk Nümann
Bis 8.5., Do.–So., 20 Uhr, Freies Schauspiel, Pflügerstraße 3, Neukölln.
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