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Einladung zur Irritation

■ Heute Eröffnung: „Mensch und Landschaft“, Bilder von Claus Hammer und Plastiken von Oliver Voigt-Wendelstein im Atelierhof

Bitte schwarzen Rahmen lassen!!

Mann vor

senkrechten schwarzen Flächen

Original noch breiter: 3 weiß, 5 schwarz, 4 weiß? Oder 4 links, 3 Mitte, 5 rechts — Irritator Claus Hammer vor seinem „Wald des Pythagoras“

Mit Axt und Beil hat er eingeschlagen auf dicke Blöcke, auf Stämme aus Holz. Den vier gut meterhohen nackten Frauenkörpern aus Kirsche, Pappel, Pflaume sind seine gewaltsamen Spuren in die Haut geschrieben: Kerben, Schnitte, Kanten. Aber: Sie sind kein bißchen grob geraten. Sie haben Ausdruck und sogar Blick, obwohl sie fast kein Gesicht haben, sie sprechen und schweigen. Sie kauern, die Arme eng am Körper, mit ihren runden Po-Backen, mit dicken Schenkeln, in angespannter, hin- oder

abgewendeter Haltung. Oliver Voigt-Wendelstein, 29, hat Figuren, Menschen gemacht, die überhaupt und unübersehbar Mann oder Frau sind, die damit eine ihrer Haupt-Bedeutungen bekommen. Neuerdings kombiniert er Plastiken mit Bildern, im Raum angeordnet. In „Requiem an den deutschen Mann“ stellt er eine nur handgroß gegossene Frauenbüste auf schlankem Alu- Sockel drei Collagen gegenüber; unbestechlich, gelassen guckt diese Frau auf zwei Männer, die sich gerade erschlagen. Oder: „Werner“, eine Ton-Büste mit abwartend verschränkten Armen, ist konfrontiert mit dem eigenen Portrait, beides auf rostigen Eisensockeln. Der ernste Kopf spiegelt sich aufmerksam in seinem Bild, der Collage aus Linoldrucken, voll rostiger, metallischer, fahlgelber Farben.

Die Holz- und Metall-Plastiken sind nicht einfach so in der weißen Galerie ausgestellt. Sie stehen vor und neben den riesigen quadratischen Bildern, die Claus Hammer gemalt hat. 184 mal 184 Zentimeter Kantenlänge: Hammers Körpergröße. Voigt-Wendelsteins Figurengruppen laufen vor diesen Bildern davon, und sie laufen in sie hinein. „Mensch und Landschaft“ heißt die Gemeinshaftsausstellung der beiden befreundeten Künstler und Kunsttherapeuten im Atelierhof, aber das meint nicht, daß Claus Hammer Landschaften zu den Menschen-Plastiken malt, sondern daß seine Bilder Landschaften sind. Mit Hintersinn. Wer vor dem „Wald des Pytagoras“ steht, fängt verwirrt und amüsiert an, an den eigenen Fingern nachzuzählen, möchte die 12 langen, schmalen Elemente am liebsten anders zusammenschieben, ordnen, möchte nachrechnen: rechts hängen vier weiße, links drei weiße und ein schwarzes, dazwischen die drei schwarzen im Zentrum.

Plastik:

3 Frauen

20 cm hoch und sehr Lebendig: eine Gruppe von Oliver Voigt-Wendelstein Fotos: Tristan Vankann

Gegen ihren Ort bilden die schwarzen eine Einheit: Hammers favorisiertes quadratisches Format. Riesig wie Eisenbahnschwellen hat er Holzkästen mit Nessel bespannt und dick mit Farbe bemalt. Sie stehen so plastisch von der Wand ab, wie es die Farbe in seinen übrigen Quadrat-Bildern vergeblich zu versuchen scheint. Die Mittel- Elemente sind natürlich nicht einfach schwarz, sondern warten mit Überraschungen auf den genauen Blick: pinselhaarfeines Rot, verborgene Schichten mit plötzlich sichtbaren hellen Flecken von zartem Rosa und Gelb, von Himmelsblau. Manchmal voller Farbknoten, Farbbeuteln, wie vor dem Platzen. Wie die Wetterseite von Baumstämmen sind die Seitenwände der Kästen grünlich-schwärzlich-gelb. Am Rande die Weißen: eins wie eine Wunde mit Pflaster und Verband umwickelt und getüncht, eins als Endstation Wald mit fabrikordentlichen Holzstäbchen beklebt und geweißelt, das nächste mit dünner Gaze, weiß vollgesogen oder rutschig verschoben umwickelt, eins mit einem Sofa-Musterstoff, Blümchen und Blätter, als kitschigem Naturrest dekoriert, fast ganz von der weißen Farbe erobert. 3 weiß, 5 schwarz, 4 weiß, oder: 4 links, 3 Mitte, 5 rechts — man fängt an kopfzurechnen. Vom Satz ist nur noch der Wald des Pythagoras übrig. „Ein Spiel mit Zahlen und Formaten, für das Geheimnis, gegen die Überbewertung der funktionalen, berechenbaren Zusammenhänge“, sagt Claus Hammer. Ilka Deutersfeld, die die Ausstellung im Atelierhof organisiert hat, findet: „eigentlich müßte das bei IBM hängen“ und meint es witzig, aber sie hat recht. Das ist ein Bild, ein Objekt, dem er um das Verrechnen geht. Susanne Paas

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