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Einkaufen mit gutem Gewissen

Fair-Trade und grüne Nudeln: Gestern eröffnete die Rathauspassage  ■ Von Jochen Metzger

Hampelmänner aus Indien stehen derzeit nicht so hoch im Kurs. Der kleine Ladenraum, in dem Fair-Trade mit erschwinglicher Standard-Second-Hand-Kleidung kombiniert wird, ist heute nur mäßig besucht. Ein älterer Herr bleibt stehen, wundert sich, liest sich die an der Glaswand aufgehängten Zeitungsartikel durch: Dies, so erfährt er, ist die just eröffnete Rathauspassage; 30 neue Arbeitsplätze wurden hier geschaffen, einige davon auf ABM-Basis, darunter neun für ehemalige Obdachlose. „Die erwirtschafteten Gewinne dienen ausschließlich dazu, die Arbeitsplätze zu finanzieren und weitere zu schaffen“, heißt es.

Im Passagengang unter dem Rathausmarkt basteln zwei Handwerker an einer Elektroinstallation, ein Maler legt bei der Decke letzte Hand an. Ein junger Student kauft Zigaretten am neuen Kiosk. „Ich komm' hier jeden Tag vorbei; die haben das alles ruckzuck hochgezogen. Vor zwei, drei Wochen war hier ja noch gar nichts.“ Zufrieden mit der neuen Rathauspassage ist er nicht. „Sieh dir mal an, was die Sachen hier kosten. Da kauft doch kein normaler Mensch mehr ein.“

Gegenüber der Fair-Trade-Parzelle öffnet sich ein großzügig angelegter Raum, bestückt mit einem 20 Meter langen Bücherregal. Zwei hektische Bedienstete versuchen, der zahlreichen Kundenanfragen Herr zu werden. Sobald ein Käufer locker läßt, werden schnell noch fehlende Preise für das antiquarische Lesegut nachgetragen. In der Mitte des Raumes stehen rund ein Dutzend Tische, an denen meist ältere Gäste ihren Kaffee trinken oder mit sichtlichem Behagen grüne Nudeln verzehren. „Toll hat das geschmeckt“, strahlt Sonja Oelker. „Und ein gutes Gewissen hat man auch, wenn man hier was ißt, weil's ja für eine gute Sache ist.“

„So voll hab ich mir den Laden nicht vorgestellt“, gesteht Pastor Sven Lundius, der hinter dem „Kirchen-Info-Counter“ steht. Das Diakonische Werk ist für das Projekt verantwortlich. „Wir können die Passage fünf Jahre lang mietfrei nutzen“, berichtet Lundius. Danach werde sich entscheiden, ob das Projekt weitergeführt werden kann.

Derweil hilft eine flinke ältere Dame am Schalter nebenan einer Kundin weiter. Mit 77 Jahren ist Hildegard Heide – Springerin am Hamburg-Info-Counter – die Älteste an Bord der Rathauspassage. „Eigentlich habe ich heute gar keinen Dienst. Aber nach den wochenlangen Vorbereitungen wollte ich bei der Eröffnung unbedingt dabei sein“, erklärt sie. „Außerdem ist das hier schon so etwas wie meine Familie: Wenn ich nicht hier bin, fehlt mir was.“

Auf dem Rückweg zum Rathausmarkt fällt ein weiteres Schmuckstück der Passage ins Auge: Die grundüberholte Toilette. Die Tür der Damentoilette wird geöffnet: „Wo sind denn hier bitte die Klobürsten?“, fragt jemand. Klaus Lenuweit, der Verantwortliche für's Klo, winkt ab: „Das ist alles bestellt.“ Raststättenniveau haben seine Toiletten längst.

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