: „Einige nennen es Klezmer“
Bei den Jüdischen Kulturtagen gilt ihr Auftritt als Höhepunkt: Ein Gespräch mit den Epstein-Brüdern William und Julius über jüdische Musik
taz: Traditionell kommen Klezmer-Musiker aus einer Klezmer- Dynastie. Die Musik wird von einer Generation an die nächste weitergegeben. Bei Ihnen war das anders...
Julius: Meine Mutter wollte, daß wir ein Instrument lernen. Schon mein Großvater hatte Geige gespielt. Aber er war kein professioneller Spieler. Er hat sich das Spielen selbst beigebracht.
William: In Osteuropa, seiner Heimat, konnte er keinen Unterricht nehmen. Dazu reichte das Geld nicht. In seinen Mittsiebzigern holte er es dann in New York nach und überlebte gleich vier seiner Lehrer. Seine Liebe zur Musik hat uns stark beeinflußt.
Was hielt Ihr Vater davon, daß seine Söhne mit Musik ihr Leben bestreiten wollten?
William: Ja, ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen. Die Musikbranche ist ja nicht die sicherste Berufssparte. Unser Vater war Schneider und kam aus der alten Welt. Er wollte, daß wir in Amerika eine solide Ausbildung erhalten. Er sagte immer „Bub, lern was Vernünftiges und geh zur Schule.“ Begeistert war er nicht gerade von unseren Plänen. Als wir dann plötzlich mit Musik Geld verdienten, war er sehr stolz.
Julius: Wenn ihn jemand nach uns fragte, sagte mein Vater immer: „Meine Söhne müssen nicht mit den Händen arbeiten, sie müssen keine Bäume fällen oder Nägel in Holz schlagen.“ Glücklicherweise lebte er lange genug, um zu sehen, daß wir von Musik leben konnten. Denn wir waren am Anfang unserer Karrieren etwas blauäugig. Wir dachten, Musik sei einfach. Aber gut zu spielen ist harte Arbeit. Heute, mit über siebzig Jahren, wissen wir das. Dafür macht unser Beruf mehr Spaß als ein normaler Job. Stellen Sie sich einen Holzhacker vor: Er fällt vielleicht mit einem einzigen geraden Hieb wunderschön einen Baum. Doch ob ihm das wirklich Freude bereitet, weiß ich nicht.
Am Anfang Ihrer Karriere haben Sie nur selten zusammen gespielt. Wann begannen Sie, als Epstein Brothers aufzutreten?
Julius: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Viele orthodoxe Juden emigrierten nach New York, und es gab nur wenige Musiker, die chassidische Musik spielen konnten. Wir Brüder waren musikalisch schon immer vielseitig. Wir spielten alles von Dixieland-Musik über Cha-Cha bis Merengue. Es war für uns also auch kein Problem, chassidische Musik zu spielen, zumal wir den Hintergrund von zu Hause mitbekommen hatten.
William: Wir spielten dann bei Rabbinern vor. Wenn wir sie für uns gewinnen konnten, waren wir im Geschäft. Denn wenn sie uns mochten, mochten uns ihre Anhänger erst recht. Und wir waren für Hochzeiten, Bar Mizwas und andere jüdische Feste ausgebucht.
Hat es für Sie eine besondere Bedeutung, gemeinsam mit Ihren Brüdern zu spielen?
Julius: Ich bin sehr stolz darauf. Meine Brüder sind einfach außergewöhnlich gut, was jüdische Musik angeht. Es gab immer viel Neid unter Musikern, weil sie nicht so gut spielten. Wir Brüder waren aber immer auf einer Wellenlinie.
Wie meinen Sie das?
Julius: Wir hatten eine genaue Vorstellung davon, was jüdische Musik sein sollte und wie wir sie spielen wollten. Andere Musiker hatten oft andere Vorstellungen.
William: Sie dürfen nicht vergessen, für uns ging es um die Lebenseinstellung und unser Berufsbild. Wir hatten keinen anderen Beruf und wollten auch keinen anderen! Wer will schon um acht Uhr morgens aufstehen, um zur Arbeit zu gehen? Wir zogen unsere Smokings abends um sieben an. Um neun traten wir auf. Irgendwann gingen wir nach Hause, schliefen bis in die Puppen und hatten den ganzen Tag für uns.
Sie scheinen untereinander sehr zu harmonieren. Kommt es gelegentlich auch zu Spannungen?
William: Klar streiten wir uns. Aber nur über sehr wichtige Dinge. Wir sind unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten. Da kommt es schon ab und zu mal zum Streit.
Worüber streiten Sie denn?
Julius: Ach, Willie übertreibt jetzt etwas. Wir streiten nicht, wir diskutieren. Das Wort Streit hört sich gleich so an, als würden wir uns gegenseitig verprügeln. Wir haben gelegentlich kleinere Meinungsverschiedenheiten. Aber das ist nicht der Rede wert.
In Deutschland sind Sie als Klezmer-Musiker bekannt. Sie spielen aber auch andere Musik...
William: Sie würden staunen, was wir alles gespielt haben: italienische, griechische und ungarische Musik. Ja, wir haben sogar deutsche Bierzeltmusik gemacht und dazu passend Lederhosen getragen. Viele Musiker sahen lange Zeit auf uns herab, weil wir auch jüdische Musik gespielt haben. „So einen Kram spielen wir nicht“, sagten sie. Doch als sie merkten, daß wir damit richtig verdienten, sind sie auch eingestiegen. Also haben wir es doch richtig gemacht, oder?
Welche Musik spielen Sie am liebsten?
William: Die, die am meisten Geld bringt. Musik ist für mich ein Job. Ich kann es mir nicht erlauben, wählerisch zu sein. Ich muß meine Familie ernähren. Es gibt natürlich Musiker, die das anders sehen. Zum Beispiel der großartige Jazz-Musiker Miles Davis. Aber der ist im Gegensatz zu uns auch noch spezialisiert. Wir haben immer in allen Gewässern gefischt. Wir wollten einfach nicht zu Hause sitzen und uns einen Job entgehen lassen...
Julius: Das hätte weniger Geld bedeutet.
William: Wissen Sie, die meisten Musiker unserer Generation konnten nicht von Musik leben. Sie hatten andere Jobs: Der eine war Lehrer, der andere Fabrikarbeiter, und wieder ein anderer war Taxifahrer. Wir hatten es glücklicherweise nie nötig, einen Nebenjob anzunehmen. Dafür mußten wir aber jeden Auftritt annehmen, den wir nur kriegen konnten.
Sie reden von jüdischer Musik. Meinen sie damit Klezmer?
Julius: Nennen Sie es, wie Sie wollen. Einige nennen es Klezmer, andere jüdische und wieder andere jiddische Musik. Vor ein paar Jahren wäre ich gekränkt gewesen, hätte mich jemand als Klezmorim bezeichnet. Das Wort hatte eine abwertende Bedeutung. Es stand für einen drittklassigen Musiker. Heute ist Klezmer modern.
William: Für mich gibt es die Bezeichnung Klezmer einfach nicht. Wir spielen jüdische Musik. Fragen Sie mich doch lieber, was jüdische Musik ist. Das erkläre ich Ihnen gerne!
Wie Sie wollen. Was ist also jüdische Musik?
William: Jüdische Musik kann alles sein. Ein Jude aus Ungarn sagt: „Spiel mir einen Tschardasch.“ Ein Jude aus Galizien sagt: „Spiel mir einen Bulgar.“ Und ein deutscher Jude will einen Wiener Walzer hören. Jüdische Musik ist ein Konglomerat aus unterschiedlichen Musikrichtungen aus verschiedenen Ländern. Und wir können alles spielen – auch die Walzer von Richard Strauss. Wir kommen aus New York, dem größten Schmelztiegel der Welt. Da lernst du, alle Musikrichtungen zu beherrschen. Und zwar gut, wenn du überleben willst. Denn die Konkurrenz sitzt dir ständig im Nacken.
Das hört sich an, als seien Sie mit Ihrer Musik in New York gut herumgekommen. Wo haben Sie überall gespielt?
Julius: Wenn man in einer Riesenstadt wie New York lebt, kann man nicht fragen: „Wo haben Sie gespielt“, sondern muß fragen: „Wo haben Sie nicht gespielt?“ Wir sind überall aufgetreten. In jüdischen Klubs, in jiddischen Theatern, in Restaurants und in Tanz- Clubs. Einfach überall!
William: An manchen Abenden waren wir gleich für vier Konzerte gebucht. Dann teilten wir uns auf und heuerten Musiker an, damit jeder von uns auf einer anderen Veranstaltung auftreten konnte. Ja, das waren noch Zeiten! Jetzt ist es etwas ruhiger. Aber wir haben noch immer viele Auftritte.
Vor einem Jahr wurde der Dokumentarfilm „A Tickle In The Heart“ über Sie gedreht. Das hat Ihrer Karriere noch mal neuen Antrieb gegeben. Sie spielen seitdem regelmäßig in Europa und werden als Klezmer-Legenden gefeiert...
William: Ja, da bin ich auch mächtig stolz drauf. Und meine Frau erst. Unsere Frauen hatten es oft nicht leicht. Wenn andere Paare am Wochenende ausgingen, arbeiteten wir und sie blieben zu Hause...
Apropos Frauen: Haben Ihre Frauen Sie in Ihrer Arbeit unterstützt?
Julius: Meine Frau hat mich nie unterstützt! Ich habe immer das Geld verdient.
So war die Frage nicht gemeint. Haben Ihre Frauen Sie moralisch unterstützt?
Julius: Ach so. Doch, doch das haben sie. Wenn man sich an den Lebensstil eines Musikers gewöhnt, kann man sehr glücklich sein. Aber wie Willie schon gesagt hat, unsere unregelmäßigen Arbeitszeiten waren nicht immer leicht für sie.
Was bedeutet es für Sie als Juden, in Deutschland zu spielen?
William: Es ist einfach seltsam. Sehr seltsam. Als wir das erste Mal 1992 in Berlin auftraten, wußten wir nicht genau, für wen wir spielen würden. Wir gingen davon aus: Wir spielen jüdische Musik, also haben wir ein jüdisches Publikum. Logische Schlußfolgerung, oder?
Julius: Willie fragte mich nach dem Konzert: „Hast du irgendwo Juden gesehen?“ Und ich sagte: „Da müssen welche gewesen sein!“ Wir waren schockiert, als wir rausfanden, daß mindestens 98 Prozent der Leute nicht jüdisch waren. Ich konnte nicht begreifen, warum Deutsche diese Art von Musik mochten. Leute, die wahrscheinlich noch nie jüdische Musik gehört hatten...
William: Aber gerade deshalb ist es immer wieder toll, wie wir vom deutschen Publikum aufgenommen werden. Beim ersten Mal in Berlin blieb mir im wahrsten Sinne des Wortes der Mund offenstehen: die Jubelschreie, der Applaus, das Fußtrampeln. Sie würden denken, ich hätte jedem im Publikum viertausend Dollar bar auf die Hand gezahlt.
Wie erklären Sie sich das?
Julius: Meine Theorie ist, daß Unterhaltung dem Publikum wichtiger ist als die Musik selbst. Wir machen bei unseren Auftritten ab und zu einen Witz und bringen die Menschen zum Lachen. Musik muß unterhaltsam sein. Du willst dir doch auch keine Symphonie anhören, bei der noch nicht mal jemand lächelt.
William: Louis Armstrong hat immer gesagt: „Wenn ich den Rhythmus nicht in den Fußspitzen spüre, dann mag ich die Musik nicht.“ Ich seh' das ganz ähnlich: Wenn man zu jüdischer Musik nicht in die Hände klatschen und mittanzen kann, dann bringt das ganze nicht viel Spaß – zumindest nicht aus jüdischer Sicht.
Ist es ein Unterschied für Sie, wenn Sie in Europa spielen oder in Ihrer jetzigen Heimat Florida, wo viele osteuropäische Juden leben?
Julius: Zu Hause ist man nie ein Star. Punkt. Aus. Ende. So ist das einfach. Man muß woanders hingehen, um als Star gefeiert zu werden. Die Leute in unserer Community kennen uns seit Jahren und die Musik aus ihrer Jugend. Sie freuen sich, die Musik zu hören. Aber es ist nichts Besonderes für sie.
Es macht Sie deshalb sicher besonders stolz, daß Sie im Ausland so erfolgreich sind.
Julius: „Stolz“ ist vielleicht nicht das richtige Wort. Musik war für mich der einfachste Weg im Leben. Ich bin stolz darauf, daß ich noch lebe, daß ich ein Jude bin und besser spiele als meine Zeitgenossen. Der Unterschied zwischen uns ist: Die jungen Musiker spielen alles, was sie kennen. Wir kennen alles, was wir spielen.
William: Die jungen Leute spielen Note für Note gleich. Bei uns ist es noch nicht einmal vorgekommen, daß wir ein Lied genauso wie das Mal zuvor gespielt haben. Wir interpretieren die Musik. Wir sind Innovatoren. Deshalb hören sich die jüngeren Generationen auch anders an als wir. Wir freuen uns natürlich darüber. So können wir sagen: Das, was wir spielen, ist the real stuff.
Es gibt mittlerweile einige Klezmer-Gruppen, deren Musiker nicht jüdisch sind. Können diese Bands Ihrer Ansicht nach das selbe Gefühl vermitteln wie jüdische Klezmorim?
William: Nie im Leben, nicht eine Minute, noch nicht einmal eine Sekunde lang. Vielleicht sind sie gute Musiker, aber das besondere Etwas dieser Musik können nichtjüdische Bands nicht transportieren. Es ist wie beim Kochen. Jeder Koch kann italienisches Essen zubereiten. Aber die authentische Würze bekommt das Gericht nur, wenn ein Italiener es abgeschmeckt hat. Interview: Patricia Seeger
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