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Archiv-Artikel

Einfache Kleinstadtjungs

Mit ihrem slicken Gegenentwurf zur Hauptstadt-Euphorie landete die Kölner Band Angelika Express neulich einen kleinen Hit. Im Magnet Club bot sie den Berlinern nun Gelegenheit, zurückzuzicken

von KOLJA MENSING

Für gewisse Signale ist man in dieser Stadt einfach nicht empfänglich. Wer sich an diesem Abend zum Beispiel vor dem Konzert im Magnet Club im thailändischen Imbiss nebenan mit Bier versorgt, hätte im Grunde genommen recht schnell merken können, dass die Konstruktion Berlins als „Szenemetropole“ eine etwas wackelige Angelegenheit ist.

Zumindest ist der auf dem Glastresen drapierte Flyer des Club DT ein deutliches Zeichen dafür, dass die immer wieder gerne gefeierte „Mitte“ der Stadt längst vom Rand her unter Beschuss geraten ist: Neben einem Bild, auf dem eine nackte Frau an einem Gitter herumturnt, erfährt man auf dem Handzettel der Diskothek, dass ein paar hundert Meter weiter oben an der Greifswalder Straße nicht nur eine „Sexy Girlie Crew“ und „Kleine Preise“ auf die „Jugend der 70er & 80er Jahre“ warten, sondern mit Roof Garden auch „die coolste Partyband Deutschlands“. Außerdem im Angebot: ein Abend mit DJ Dark unter dem Motto „Dirty Dancing … schon vergessen?“

Doch da man in den Bars und Clubs in Mitte und den benachbarten Bezirken diesen Vormarsch der Wirklichkeit eben gerne übersieht, war es umso erfreulicher, als in diesem Frühjahr eine Band namens Angelika Express antrat, um den jüngeren Bewohnern der so genannten Hauptstadt in einfachen und klaren Worten zu erklären, dass ihr Berlin im Grunde genommen eine überschätze Angelegenheit ist: „Schlechte Bezahlung / schlechte Musik / ein Klo zum Wohnen / ne Wohnung als Klo“, hieß es auf der ersten Single, die den höhnischen Titel „Geh doch nach Berlin“ trug.

Die Antihymne wurde ein kleiner Hit, und in der Fachpresse wies man mit Genugtuung darauf hin, dass die drei Musiker ausgerechnet aus Köln kommen – und obendrein auch noch „gut anzogen“ sind. „Wir haben die neue Mitte gefunden“, verkündeten Angelika Express selbstbewusst auf ihrer Homepage und spielten rund um diese Aussage ihr Debütalbum ein, das mit deutlichen Bezügen zur deutschen Musik der frühen Achtzigerjahre durchaus im Trend liegt. Ein bisschen Fehlfarben, ein bisschen Ideal: An diesen übersteuerten Sound aus verzerrtem Bass, zickige Gitarre und besserwisserischen Gesang haben andere schon vor zwanzig Jahren ihre Jugend verschwendet.

Jetzt stehen sie also auf der Bühne im Magnet Club. Es sind nicht ganz die sharp dressed men vom Cover ihres Albums, aber immerhin trägt Schlagzeuger Alex Jezdinsky eine messerscharf geschnittene weiße Krawatte zu rotem Hemd und schwarzem Anzug: „Wo ist das Problem / wir sind die Boheme / und retten euren Tag.“ Vermutlich hätte man Angelika Express an diesem Abend ihren slicken Gegenentwurf zur hartnäckigen Hauptstadt-Euphorie wirklich abgenommen, wenn Mama Berlin ihnen nicht mehr oder weniger die kalte Schulter gezeigt hätte. Die durchaus noch mit freundlicher Ironie formulierte Bemerkung von Sänger Robert Drakogiannakis, dass sie ihren Song „Viertel nach vier“ dem hiesigen Nachtleben widmen würden, da man in Köln um diese Zeit bekanntlich längst im Bett liege, perlte an den gerade mal fünfzig Zuhörern mehr oder weniger ab. Wo ist das Problem?

Als die drei Musiker auf der Bühne dann ein paar zaghaften Zwischenrufen in der Art von „ihr fucking Kölner“ nur mit einem freundlichen Lächeln begegnen, ist klar, dass die Schlacht um die Diskurshoheit an diesem Abend nicht mehr geschlagen wird.

Angelika Express zeigen zwar jede Menge Einsatz, und es gibt auch den einen oder anderen berührenden Moment, wenn Robert Drakogiannakis vom Leben „eines einfachen Kleinstadtjungen“ oder der melancholischen Nacht mit dem „Teenager Fanclub Girl“ singt. Zuletzt aber bekommt die Band dann doch nur das, was man in dieser Stadt eben häufiger mal bekommt: ein bisschen Begeisterung.

In Berlin feiert man sich nämlich am liebsten selbst. Und wenn man ein paar mehr Beck’s oder Wernesgrüner als sonst getrunken hat, ist es einem ohnehin egal, was gerade in Köln, Hamburg oder gleich um die Ecke in der Diskothek Club DT passiert. Das Niveau kriegt man auch alleine gesenkt. „Pissen gehen ist super“, erklärt um halb zwei der Indierockfan mit dem Bierbauch seinem Nachbarn am Pissoir – und erläutert auf Nachfrage gern die Vorzüge des schmalen Gangs, der im Magnet zu den Toiletten führt: „Du musst dich an sämtlichen Frauen mit geilen Titten vorbeidrängeln.“