: Einfach nicht an Sex denken
Männerratgeber halten nur einen Tip parat, um im Geschlechterspiel gut auszusehen ■ Von Eberhard Schäfer
Ach, die Erotik im Heteroalltag, wo ist sie geblieben? Der Spaß an der Unverbindlichkeit? Die Kunst des Flirtens in aller Öffentlichkeit? Muß man denn erst nach Paris ziehen, um sie zu erleben und wiederzuerlernen? „Männer und Frauen versprechen einander wechselseitig die Möglichkeit der Verführung, zu der es nie kommt.“ So sieht die Schriftstellerin Dagmar Fedderke das Leben in Paris, wie sie jüngst der Frankfurter Allgemeine Zeitung erzählte. „Wenn ich in Deutschland auf die Straße gehe, bin ich ein Mensch. Wenn ich in Paris auf die Straße gehe, bin ich eine Frau.“
Der Protestantismus hat es der Erotik hierzulande immer schon schwer gemacht. Als aber dann auch noch die Achtundsechzigerinnen und ihr Kampf gegen Konvention und Etikette sowie ihre Verachtung für Höflichkeit und Galanterie hinzukamen, lautete deren Alternative plötzlich: Authentizität.
Gefühle, Wünsche, Ansinnen möglichst echt rüberbringen – das war angesagt. Ein schönes Beispiel für Authentizität gibt es in dem Film „I want you“. Eine junge Frau hat gerade einen jungen Mann kennengelernt und geht mit ihm am Strand spazieren. Da fragt sie ihn: „Hast du heute abend schon was vor? Wanna fuck?“
Anscheinend fangen die Frauen jetzt an so zu reden, wie sie es sich von den Männern verbeten haben. Ist das Gesagte dadurch weniger häßlich? Nun, vielleicht nicht ganz so unerotisch wie die Sprache, mit der viele Männer versuchen, demselben Ansinnen Ausdruck zu verleihen: „Du, ich glaub, also ich meine, irgendwie habe ich Lust, mit dir zu schlafen...“ Authentisch? Irgendwie ärmlich.
Anders gesagt: Wir leben in einer Welt von Mißverständnissen. Jeder Blick gilt von vornherein als penetrantes Starren, jede Ansprache ist scheinbar unerwünscht, jeder Versuch der Kontaktaufnahme muß zum plumpen Anbaggern mißraten.
Da verliert der Mann doch die Lust. Deshalb sagen viele Männer gar nichts mehr und wissen auch nicht, wo sie hingucken sollen in der U-Bahn oder im Café. Deswegen verstecken Männer sich immer hinter ihren Zeitungen. Wenn es doch noch mal zu einer sexuellen Begegnung kommt – was recht selten der Fall ist – wissen die Männer weder, was sie wollen noch, was sie sollen.
Und die Frauen? Ziehen nach Paris, entziehen sich der Auseinandersetzung. Kann ein Mann diese Migrationswelle verhindern? Dieser öden Mixtur aus Peinlichkeit und Unisex-Langeweile entkommen? Gibt es noch Rat für den Mann?
„Die hohe Kunst der Verführung“ – dieser Titel klingt vielversprechend. Der Autor mit dem exotischen Namen Nikolai de Treskow widmet sich dem Studium des mittelalterlichen Minnesangs. Nun will er die dort gefundenen Umgangsformen und Rituale der höflichen, galanten Werbung wiederbeleben.
Die Minnesänger umwarben Damen der höheren Stände. So mußten sie sich einiges einfallen lassen, um die Angebetete zu beeindrucken, denn welche Veranlassung sollte die Herzensdame haben, sich zu einem Techtelmechtel herabzulassen? Der Minnesang war nicht auf schnellen Horizontalerfolg ausgelegt. „Die wahre Lust zog man aus der erotischen Spannung des noch unerfüllten Begehrens.“ Das Begehren, diese Hände zu berühren, diesen Mund zu küssen, habe mindestens soviel Lust gemacht wie deren – ohnehin selten vergönnte – Erfüllung. Nie war klar, wie das Spiel ausgehen würde, und gerade das machte seinen besonderen Reiz aus. Für Minnesänger war der Weg das Ziel – die Werbung, das Spiel, der Flirt der lustbringende Wert an sich, nicht das Mittel zum Zweck.
Und, folgen wir de Treskow, so sollte es wieder sein: Humor, Verspieltheit, Phantasie und Gelassenheit, sowohl beim Liebeswerben als auch in der Liebe. Vorschläge: Die Geliebte am Freitagabend von der Arbeit abholen und ins Wochenende entführen. Sie beim unangenehmen Zahnarztbesuch begleiten. Ihr das Lieblingsessen kochen (Obacht! Narkose abklingen lassen!). Der schöne Nikolai (sein Konterfei auf dem Umschlag ist Programm!) plädiert für nichtgenitalen, langsamen, spielerischen Sex, gegen Ejakulations- und Orgasmusfixiertheit. Auch hier also: Weniger ist mehr.
Wie aber die Angst vor dem Flirt überwinden? Schauen wir im Kompendium „Männerängste – Wovor Männer sich wirklich fürchten“ des Psychologen Dr. Hermann Ehmann nach. Als Männerangst Nummer eins macht der Autor die Sexualangst aus. Die „Anmache“ ist das Problem – wie fang ich's an? Aber leider: Die Tips des Ratgebers enttäuschen auf ganzer Linie. Kostprobe: Mann möge doch „eine spontane Idee oder etwas ähnliches“ haben. Noch origineller: „Seien Sie so natürlich wie möglich!“ Und schließlich: „Nichts wie ran an den Speck, Männer! Gelegenheiten gibt es genug. Und Frauen, die darauf warten, auch.“ Frauen, die auf was warten? Auf „I wanna fuck?“ Oder was? Keine Antwort.
Nur nebenbei: Auch um andere Ängste geht es in diesem Buch. Der Angst vor sexuellem Versagen soll mann beikommen mit der Empfehlung: „Denken Sie vier Wochen lang überhaupt nicht mehr an Sex – schwer, aber machbar!“
Bei Angst um den Arbeitsplatz hilft ganz gewiß dieser Fingerzeig: „Locker bleiben um jeden Preis! Wenn ich meinen Arbeitsplatz verliere – na und? Dann geht es sicher anders weiter. Das ist wahre Siegermentalität.“
Doch nicht nur für Männer hat der Autor Rat, sondern auch für Frauen. Der gewichtigste: „Wenn Ihnen Ihr Frieden etwas wert ist, dann lassen Sie die Männer einfach in dem Glauben, ganz toll zu sein.“ Arbeitslos – ach, ganz toll! Impotent – na prima, super! Könnte das nicht etwas viel der Höflichkeit sein? Vielleicht sollte man doch klar sagen: Höflichkeit hat ihre Grenze da, wo sie Heuchelei und Lüge wird.
Ist das Votum für nichtgenitalen Sex nur eine Ausflucht – Ausflucht vor dem Eingeständnis, daß der Mann gar nicht mehr richtig kann?
In dem Buch „Die sexuelle Kraft des Mannes“ (dieser Titel soll offenbar Optimismus verströmen) der Wiener Psychotherapeuten Gerti Senger und Walter Hoffmann geht es um die vielfältigen sexuellen Störungen, von denen Männer heute heimgesucht werden. Eigentlich überholt, dieser orthodox-psychoanalytische Ansatz mit seiner typischen Fixierung auf die „reife“, genitale, orgasmusorientierte Sexualität, ignoriert er doch den gemeinsamen Nenner der Sexualwissenschaft und -pädagogik der letzten 25 Jahre, der da besagt, daß jegliches erlaubt ist, was den Beteiligten gefällt.
Die Genitalfixierung erweist sich jedoch als Vorteil, da jenes Organ (das männliche, versteht sich) in diesem Buch höchst akkurat bemustert wird. Beispielsweise bei der Erörterung der Frage, was eigentlich ein vorzeitiger Samenerguß sei. Ein sexuelles Problem, so Senger und Hoffmann, sei nicht, daß er zu früh kommt, sondern daß er zu früh für sie kommt.
Staunend erfahren wir, daß noch in den fünfziger Jahren eine Koitusdauer von einer (!) Minute als „ausreichend und normal“ galt. Da konnte man quasi gar nicht zu früh kommen. Wie sich doch die Leistungsanforderungen verschärft und so Männern wie Frauen mehr Lust, aber auch mehr Probleme bereitet haben!
Auch körperlich verursachte Erektionsprobleme werden angesprochen. Pikante Fragen um die sogenannte Skat-Autoinjektionsmethode, bei der Mann (oder auch die Partnerin) sich selbst erektionsauslösende Mittel in die Peniswurzel injiziert, werden beantwortet. Die Übungen im Praxisteil des Buches sollen helfen, die eigenen sexuellen Empfindungen besser kennenzulernen, aber auch ermöglichen, die sexuelle Performance zu verbessern.
Empfohlen werden Solo- und Partnerübungen. Sie dienen, wie das ganze Buch, nicht nur als Lösungswege bei sexuellen Problemen, sondern auch der Entwicklung einer erotischen und sexuellen Kultur, zu der Verständigung ebenso gehört wie Abwechslung.
Kann es aber sein, daß all die Liebesmüh vergeblich ist? Können Männer überhaupt lieben? Wenn man das Buch „Wie Männer lieben“ des Berliner Psychotherapeuten Joachim Parpat liest, kommen einem ernsthafte Zweifel. Er weiß aus seiner Arbeit mit therapeutischen Männergruppen nur von Trümmern der Liebe zu berichten.
Die Liebe zur Frau, womit die zur eigenen Partnerin (oder zu verflossenen Partnerinnen, denn die meisten Männer, von denen Parpat berichtet, haben Schwierigkeiten, eine Partnerschaft dauerhaft zu gestalten) gemeint ist: schwierig, immer nur schwierig. Parpat zeichnet einen Teufelskreis: Ehemänner verletzen Frauen, indem sie ihnen die Hausfrau-und-Mutter-Rolle zuweisen, sie verbal und körperlich mißhandeln.
Diese Ehefrauen-als-Mutter verletzen ihre Söhne – Ersatzrache, die eigentlich dem Ehemann gilt. Die Söhne, erwachsen geworden, verletzen wiederum ihre Frauen – erneut die Rache an der falschen Person. Und so weiter – wie soll Liebe möglich sein in so einem System des Wiederholungszwangs? Parpats Antwort: Gar nicht – fast gar nicht jedenfalls.
Nachdem er über entäuschte, mißglückte, beschädigte Liebesversuche von Männern zu Frauen, Eltern, Freunden, der Arbeit und zu sich selbst berichtet hat (Erfreuliches kommt nur in Form von Wünschen für die Zukunft vor), setzt er den Begriff Liebe in Anführungszeichen. Männer lieben nicht, sie leiden. Sie leiden am „patriarchalen Syndrom“, an und in der patriarchalen Kultur, wozu die Kleinfamilie zählt, die nur Notgemeinschaft sei, außerdem die Konkurrenz zwischen Männern, Gewalt und überhaupt so ziemlich alle Übel dieser Welt vom schnellen Autofahren bis zum Alkoholismus.
Abhilfe kann, so Parpat, zu allererst die psychotherapeutische Männergruppe bieten, in der Männer einander ihr Leid mitteilen und es so gleichsam überwinden. Es ist beinahe müßig zu erwähnen, daß Liebe in diesem Buch mit Lust und erotischer Spannung nichts zu tun hat.
Hätte das Buch nicht diese zwanghafte, sich selbst erfüllende Logik, könnte man ihm durchaus einige positive Seiten abgewinnen. Die Schilderungen der Männer beispielsweise, insbesondere in den ausführlich zitierten Selbstzeugnissen, bieten erschütternde Einsichten in mißlungene mütter- und väterliche Erziehungsbemühungen, und man hofft, daß man selbst es zumindest ein bißchen besser macht.
Besser macht: Die Generation der Väter hat sich in der Küche doch eher rar gemacht. Diesen Teil der patriarchalen Kultur zu überwinden, dürfte nicht schwer fallen, schon gar nicht mit Hilfe des Buches „Männer an den Herd“ von Christoph Wagner. Seine einleitenden Überlegungen über geschlechtsspezifische Verhaltensunterschiede in der Küche mag man fragwürdig finden, dafür bekommt er am Ende auch Contra von der Ehefrau. Die etwa 100 Rezepte sind von ganz einfach bis ziemlich anspruchsvoll.
Für richtige Einsteiger gibt es eine detaillierte Anleitung zum Nudelnkochen; Fortgeschrittene können sich an Wachteln mit Couscousfüllung und Madeirasauce versuchen. Es ist dem Autor durchaus bewußt, daß ein schönes Essen durchaus ein feines Element galanter Liebeswerbung sein kann, weiß er doch von nicht wenigen Männern, die ihre Gefährtinnen eingefangen haben nach allen Regeln der Kochkunst.
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