: „Einfach Scheiße“
Das deutsche Daviscup-Team bleibt zwar zweitklassig, die Fortschritte aber sind dennoch nicht zu übersehen
BRATISLAVA taz ■ Nach Niederlagen, zumal nach solchen mit tieferer Bedeutung, driften Mannschaften oft schnell auseinander. Schuldzuweisungen hinter vorgehaltener Hand, eine kleine Portion Häme, und dem Kumpel von gestern schießt der Nachbar heute aus der Hecke ins Knie. Nichts dergleichen passierte in Bratislava. Nach der bitteren Niederlage des Davis-Cup-Teams im Play-offSpiel gegen die Slowaken waren die Deutschen einig in ihrem Frust und in ihrer maßlos tiefen Enttäuschung, auch im nächsten Jahr nicht in der Weltliga spielen zu dürfen. Keiner warf dem anderen etwas vor, und wen man auch fragte, die Antwort war immer die gleiche. „Es ist bitter, dass wieder ein Jahr verloren geht“, klagte Tommy Haas und fasste die Lage noch einmal unmissverständlich zusammen: „Es ist einfach Scheiße.“
Dieser erneute Tiefschlag trifft das deutsche Männertennis ausgerechnet im Herbst eines Jahres, das Hoffnung gemacht hat. Mit Haas’ unerwartet schnellem Comeback nach zwei Operationen und mehr als einem Jahr Pause; mit Nicolas Kiefers kämpferischem Bemühen, wieder einstige Höhen zu erreichen; mit der olympischen Silbermedaille des Doppels Kiefer/Schüttler in Athen; mit dem überraschenden Aufstieg eines Florian Mayer. Es ist deshalb keineswegs übertrieben, wenn Teamchef Patrik Kühnen, 38, sagt: „In den letzten sechs Monaten hat sich vieles zum Positiven gewendet.“
Es ist fast schon ein wenig zynisch, wie sich die Dinge aber ausgerechnet für ihn selbst entwickelt haben. Kühnen hat gut gearbeitet in den zwei Jahren seines Vertrages als Chef des deutschen Teams, hat sich mit Erfolg bemüht, Vermittler und Lenker zu sein, und unter seiner Leitung hat sich lange vermisster Mannschaftsgeist entwickelt. Er macht diesen Job ohne Zweifel besser als die beiden prominenten Vorgänger Boris Becker und Michael Stich, aber die Tatsache ist nicht zu übersehen, dass das deutsche Team unter seiner Leitung vor einem Jahr nach mehr als 20 Jahren aus der Weltliga abgestiegen und dass es diesmal nicht wieder aufgestiegen ist. Warum? Weil Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler in Bratislava fehlten, weil Florian Mayer angeschlagen und gegen Ende einer langen Saison am Ende mit seinen psychischen und körperlichen Kräften war, weil Tommy Haas zum ersten Mal im Davis Cup leichte Schwächen zeigte – und weil der Slowake Dominik Hrbaty mit Ausnahme weniger irdischer Momente drei Tage lang spielte wie von einem anderen Stern.
Kühnens Vertrag mit dem Deutschen Tennis Bund (DTB) ist ausgelaufen, aber dessen Präsident, Georg von Waldenfels, versichert, einem neuen Vertrag stünde nichts im Wege; man werde sich demnächst zusammensetzen und die Vorstellungen besprechen. Auch Kühnen ist bereit, sagt aber, es gebe schon noch einige Dinge im DTB zu verbessern, vor allem aber sei er daran interessiert, sich effizienter in die Arbeit einbringen zu können als bisher.
Die Rückkehr in die erste Liga des Tennis wäre das passende Signal im Herbst 2004 gewesen, verbunden mit der Hoffnung, mit einer kompletten Mannschaft im nächsten Jahr in der Weltliga eine gute Rolle zu spielen. So, wie es sich nicht nur Doppelspieler Alex Waske vorgestellt hatte: „Ich will wieder sehen, dass wir in Deutschland vor 10.000 Leuten Davis Cup spielen; das muss wieder ein Ereignis werden.“ Stattdessen geht es nun mit dem besten Team in Liga zwei, in der so genannten Zone Europa/Afrika 1 weiter. Auswärtsspiele in Marokko, Südafrika oder Israel sind möglich, im Topf sind des Weiteren Belgien, Großbritannien, Italien und Serbien/Montenegro. Die deutschen Spieler und ihr Chef hatten sich was anderes vorgestellt, aber das nützt ja nichts mehr. Jetzt werden sie daran arbeiten müssen, ihren Traum vom Spektakel Davis Cup nicht aus den Augen zu verlieren. Jeder für sich – und alle zusammen.
DORIS HENKEL