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Archiv-Artikel

DENIZ YÜCEL ÜBER DEN LIBYEN-BESCHLUSS DES UN-SICHERHEITSRATS Einer muss es ja machen

Nicht nur die Türkei hat die Hilferufe der Aufständischen kalt ignoriert

Zumindest eines hat die UN-Resolution bereits bewirkt: Die Rebellen haben wieder Hoffnung. Womöglich wird sie noch etwas bewirken und der westlichen Welt (oder einem Teil davon) ein wenig jener Glaubwürdigkeit zurückgeben, die sie, nach ihrem Zögern in Tunesien und Ägypten, eingedenk der Entwicklungen in Libyen vollends zu verlieren drohte. Immerhin ist die Resolution, die willige Staaten zum Eingreifen befugt, jetzt da, und besser, sie kommt spät als nie.

Und noch vor zwei, drei Wochen, vor Beginn der Gegenoffensive, wäre sie vielleicht ausreichend gewesen. Damals hätte sie womöglich den Zerfall beschleunigt, den Gaddafis Apparat am Anfang des Aufstands an den Tag gelegt hatte. Damals hätte es vielleicht gereicht, mithilfe einer Flugverbotszone für eine gewisse Chancengleichheit zu sorgen und den Rest den Aufständischen zu überlassen.

Jetzt aber ist die Lage eine andere. Nicht die Aufständischen stehen vor Tripolis, vielmehr haben sich Gaddafis Truppen reorganisiert und stehen kurz vor Bengasi. So wird es wohl nicht reichen, die Luftwaffe auszuschalten. Wer den Aufständischen helfen will, wird sich auch mit der schweren Artillerie der Gaddafi-Truppen auseinandersetzen müssen.

Aber es ist nicht allein der Westen, der eine historische Chance zu verpassen drohte – und vielleicht verpasst hat. Größer ist das Versagen jener Staaten, die in den letzten Jahren im Einklang mit ihrer gewachsenen wirtschaftlichen Bedeutung auch politische Ambitionen angemeldet hatten. Die Rede ist nicht von China oder Russland – ihre Zustimmung hätte die Resolution nicht zusätzlich legitimiert, sondern diskreditiert. Die Rede ist auch nicht von der Arabischen Liga als Ganzes. Deren Billigung mag zwar dazu beitragen, dass eine Intervention nicht so leicht als „Kreuzzug gegen den Islam“ oder als „imperialistischer Krieg“ verfemt werden kann. Doch so erfreulich das Auftreten des Libanons ist, so bizarr ist es, dass die Demokratie in Libyen mithilfe Bahrains und Saudi-Arabiens einziehen soll.

Die Rede ist von anderen. Von der Türkei etwa, die sich noch während der Revolution in Ägypten nicht oft genug als role model für die arabische Welt ins Gespräch bringen konnte, die Hilfsgesuche der Aufständischen aber kalt ignoriert hat. Die Rede ist von Südafrika, das zwar nach langem Zögern für die Resolution stimmte, dessen Präsident Jacob Zuma aber lieber mit Gaddafi telefonierte, als sich, dem eigenen Führungsanspruch in Afrika folgend, an die Spitze einer internationalen Anti-Gaddafi-Allianz zu stellen. Die Rede ist ferner von Ägypten und Tunesien, die zwar die Aufständischen heimlich unterstützt haben, es jedoch versäumt haben, die politische Initiative zu übernehmen. Die Rede ist schließlich von Indien, der „größten Demokratie der Welt“, die sich im Sicherheitsrat ebenso der Stimme enthielt wie das Brasilien Lulas und Dilmas – und dafür sorgte, dass die Resolution nur dank Ländern mit zweifelhaftem Leumund wie Gabun, Nigeria und Kolumbien zustande kam.

Die Türkei, Südafrika, Ägypten, Tunesien, Brasilien, Indien – sie alle wären dazu aufgerufen gewesen, einzugreifen. Vielleicht hätte es nicht zur militärischen Führung gereicht, aber wenigstens zur politischen. Eine solche Allianz hätte nicht im Verdacht gestanden, an eine imperiale Vergangenheit anzuknüpfen, und ihre Mitglieder wären glaubwürdig gewesen, jene Rolle zu spielen, die nun Frankreich und Großbritannien übernommen haben. Über den konkreten Fall hinaus hätten sie zeigen können, dass die Schwellenländer tatsächlich an Bedeutung gewonnen haben und ihr Anspruch auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat mehr ist als das Getue von Parvenüs.

Ja, so hätte es kommen können und es wäre wohl besser so gewesen. Allein: sie wollten nicht, und sie wollten es aus unterschiedlichen Gründen nicht. Deshalb aber verdienen diejenigen, die die Verantwortung übernehmen werden, alle Glückwünsche – auch die USA. Einer muss den Job ja machen, wenn es sonst keiner tut.

Und Deutschland? Das ist hier weniger von weltpolitischem als mehr von stilistischem Interesse: „Die Herrschaft des Muammar al-Gaddafi ist vorbei“, rief UN-Botschafter Peter Wittig, nachdem er sich der Stimme enthalten hatte. Wer so redet, muss entsprechend handeln; wer das nicht will, sollte wenigstens die Klappe halten. Noch anstößiger als Untätigkeit ist nämlich Maulheldentum.