: Einer flog vom Asylschiff
■ Ein Algerier bekam den Lagerkoller im Kohlenhafen — oder ist er nur „ein Flegel“?
„Es gab lautes Sprechen, aber keine Schlägerei“, sagt Abdelkader B., 23jähriger Asylsuchender aus Algerien. Er ist am Donnerstag vom Wohnschiff „Embrica Marcel“ geflogen. Donnerstagnacht schlief er bei der Flüchtlingsinitiative Schildstraße, am Freitag erwirkte er über eine einstweilige Verfügung des Verwaltungsgerichts eine anderweitige Unterbringung.
Dem Hausverbot vorausgegangen sei eine Streiterei um mehr Gemüse und Salat, sagt Abdelkader B. Er ist Vegetarier. In der Begründung, die er vom Kapitän für die Wohnungshilfe mitbekommen hat, ist jedoch auch von mehrfacher Gefährdung der Bordsicherheit die Rede. Jan Kuhlmann von der Flüchtlingsinitiative kann sich gar nicht vorstellen, daß der junge Algerier Ärger provoziert haben könnte. Er kennt Abdelkader B. aus dem Sprachunterricht als ruhigen und gelassenen, allerdings auch selbstbewußten Menschen. „Die wollen an ihm ein Exempel statuieren, zeigen, wer die Macht hat auf dem Schiff“, vermutet Kuhlmann.
Wie es zu dem Streit kam? Abdelakder erzählt, daß er nur ein Brot bekommen habe zum Essen statt zweier. Daß er außerdem, obwohl Vegetarier, nicht mehr Gemüse und Salat bekomme. Schiffskapitän Herbert Herweck zeichnet jedoch ein ganz andres Bild: Abdelkader B. habe sich von Anfang an „wie ein Flegel“ benommen. Zum Bei
Asylschiff: „Exit“ auf Nimmerwiedersehen Foto: Holzapfel
spiel nachts um drei Uhr in der Kantine nach Kaffee geschrien und mit Stühlen geworfen. Er habe in Schiffsbereichen geraucht und Zigaretten auf dem Boden ausgedrückt, wo aus Brandschutzgründen Rauchverbot herrscht. Er habe dem Pförtner Schläge angedroht und eine Mitarbeiterin als „blöde Sau“ beschimpft, die ihm nur einen Salat gab. Es gebe aber nunmal, so Herweck, mittags nur ein Schälchen Salat und ein Stück Fleisch, sonst aber von allem Nachschlag, also auch vom Gemüse.
Und die Geschichte mit dem
hier bitte das Foto
mit dem EXIT-Schild
Brot erzählt der Kapitän so: Der junge Mann habe zum Mittagessen drei Scheiben Brot gefordert, auch bekommen, dann aber zweieinhalb weggeworfen. Herweck, der, wie er sagt, sich noch gut an den Hunger im Krieg erinnern könne, stellte den Algerier zur Rede. „Mir steht das zu — ob ich das wegwerfe oder nicht“, soll Abdelkader B. geantwortet haben. Am nächsten Tag gab ihm Herweck nur eine Scheibe: Wenn er die aufgegessen habe, könne er sich noch eine holen. Daraufhin wurde ihm das Brot zusammen mit Pommes vor die Füße geworfen. Herweck hatte genug: Er sprach das Hausverbot aus.
„Der hat zwei Gesichter“, sagt der Kapitän über den Asylbewerber. In Gesprächen mit dem Sozialarbeiter habe er mitunter einen sehr höflichen und gebildeten Eindruck gemacht - und wenige Stunden später doch wieder an der Essensausgabe rumgetobt.
In anderen Unterkünften, sagt Herweck, wäre Abdelkader B. schon nach zwei Tagen rausgeflogen. Hier erst nach neun Wochen. Und das sei auch erst das dritte Hausverbot. Damit stehe man im Vergleich mit anderen Heimen sehr gut da. Die Sozialbehörde kann gegen Hausverbote nicht protestieren, denn alle Heimleiter haben Hausrecht. Das sei auch sinnvoll, damit schnell gehandelt werden könne.
Auf „die zwei Gesichter“ des Asylbewerbers angesprochen, sagt Jan Kuhlmann von der Flüchtlingsinitiative: „Wenn man Leute so unterbringt, kann man davon ausgehen, daß sie irgendwann einen Lagerkoller kriegen.“ Auch Beate Garbe von der Wohnungshilfe wundert sich nicht: Früher sprach jeder Asylsuchende bei der Wohnungshilfe vor, das Amt habe die Leute differenziert nach Nationalitäten unterbringen können. „Jetzt kommen die Leute direkt von der ZAST aufs Schiff. Die werden alle wahllos zusammengeknallt, egal aus welcher Nation. Und wenn da Nord- und Südvietnamesen aufeinandertreffen oder Iraner und Iraker — das ist doch nur eine Frage der Zeit, wann das knallt.“ Schuld seien das neue Asylgesetz, das nur noch die Unterbringung in vollverpflegten Massenunterkünften vorsieht, aber auch der Beschluß des Senats, alleinstehende Männer nur noch auf dem Wohnschiff unterzubringen. Abdelkader B. hat nun ein Bett auf dem Schiff im Allerhafen zugewiesen bekommen. Christine Holch
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