: Einer dreht immer durch
■ In Die Verurteilten helfen Gefängnismauern, die wahren Werte des Lebens zu erkennen
In einem weiten Bogen fliegen wir über das Gefängnistor von Shawshank, sinken hinunter in die Steinmauern und nehmen Andy Dufresne (Tim Robbins) in Empfang, der denselben Weg zu Fuß und in Ketten durch ein Spalier johlender Schwerverbrecher nehmen mußte. „Ich mochte ihn von Anfang an“, kommentiert Alt-Insasse Red Redding (Morgan Freeman) die Ankunft des „Neuen“.
Damit bleibt auch uns nichts anderes übrig, als ihn zu mögen, den Bankier, dessen Urteil für den Mord an Ehefrau und deren Liebhaber lautet: „Zweimal lebenslänglich.“ Und Red natürlich ebenso. Es ist die Sympathie für diese Verurteilten, mit der Regisseur Frank Darabont den Kamera-Flug über Shawshank vergessen läßt und das Gefängnis spürbar macht, als wäre es das eigene.
Daß sie mit Haut und Haar der Macht des Direktors (Bob Gunton) von Shawshank ausgeliefert sind, erfahren die Neuankömmlinge bei der Begrüßung, die mit Schädel-Rasur und Läusepulver-Behandlung auf nackter Haut beendet wird. Das Schlimmste aber ist die erste Nacht hinter Gittern. „Einer dreht immer durch“, erzählt Red und wettet, daß der besonders soft wirkende Andy Dufresne diesmal dieser eine sein wird. Es wird dunkel in den Zellen, die wie Käfige im Raubtierhaus aneinandergereiht sind. Niemand kann schlafen, alle warten. Unter den Gefangenen steigt die Spannung ins Unerträgliche. Bis endlich jemand losbrüllt – und dafür totgeprügelt wird.
Dufresne aber lebt. Er scheint sich sogar erstaunlich gut mit seinem Schicksal abzufinden. Auch die Vorurteile gegen den „hochnäsigen, weißen Bankier“ legen sich, sobald er sich mit dem alten, schwarzen Red anfreundet. Daß Gefängnismauern Klassengrenzen überwinden helfen, ist zuviel des Guten. Fast böse ist, daß sie Andy und Red die wahren Werte des Lebens, Liebe und Freundschaft, erkennen lassen, die die Welt, die Gefängnisse braucht, so schmählich mißachtet.
Angenehm zynisch ist dagegen, daß es nur einem Genie wie Dufresne, der alle gesellschaftlichen Ideale (Intelligenz, Bildung, Moral, Gesundheit, Witz und Mut) in sich vereint, gelingen kann, das System zu überwinden. Als perfekt funktionierendes Rädchen kann er es zum Stocken bringen. Darum engagiert sich Dufresne für die Bildung der Gefangenen, macht den Aufsehern die Steuererklärung und „hilft“ dem Direktor bei seinen Betrügereien. Aber nicht um die Welt zu verbessern, denn Shawshank lehrt, wie schlecht die ist und was im Leben wirklich zählt: Hoffnung.
May Mergenthaler
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