: Eine unheilige Allianz
■ Die Deutschen und ihr Fußball / Betrachtung einer verkorksten Beziehung
Eine unheilige Allianz
Die Deutschen und ihr Fußball / Betrachtung einer
verkorksten Beziehung
Von Matti Lieske
Die Antwort auf die nach wie vor das Gemüt der Nation bewegende Grundfrage, ob der deutsche Fußball noch zu retten sei, kann sehr einfach beantwortet werden: Nein! Er war es nie.
Der Grund dafür ist simpel: Deutsche Mentalität und guter Fußball vertragen sich einfach nicht. In einem Land, wo Lebensqualität durch eine unüberschaubare Anzahl verschiedenartiger Versicherungen ersetzt wird, wo das Selbstbewußtsein eines Menschen entsprechend der Zahl seiner Arbeitsstunden steigt, wo derjenige als bester Fußballer betrachtet wird, der sich während des Spieles am dreckigsten macht , kann der Fußball nicht gedeihen.
So verwundert es kaum, daß der deutsche Fußball chronisch krank ist, geprägt von langen Phasen des Siechtums, die von kurzen Scheinblüten, Augenblicken vermeintlichen Glanzes, schnell verblassender Größe und abrupt gestoppter Euphorie unterbrochen werden.
Abhilfe wird ausgerechnet von Franz Beckenbauer erwartet, der tragischsten Figur, die der deutsche Fußball zu bieten hat. Was hätte dieser begnadete Künstler alles anstellen können, wäre er in einem anderen Land geboren worden! Unvergessen die gloriosen Auftritte seiner Jugend, als ihn noch nicht ein verderblicher Hang zum Zweckfußball zum Libero herabgewürdigt hatte, als er noch ungeniert im Mittelfeld brillierte und maßgeblichen Anteil an der größten Zeit deutscher Fußballkunst seit dem Schalker Kreisel hatte
-1966 bis 1972, die Jahre, in denen zwei Weltmeisterschaften nicht gewonnen wurden.
Während alle anderen Idole des runden Leders in ihren Mitteln beschränkt waren, glänzte Beckenbauer durch Perfektion. Uwe Seeler hatte sein Kämpferherz und seine hohe Stirn, Wolfgang Overath seinen Biß und seinen linken Fuß, Gerd Müller seinen dicken Hintern, Fritz Szepan und Ernst Kuzorra hatten ihren Kreisel - Beckenbauer hatte alles. Günter Netzer fehlte das Durchsetzungsvermögen, Fritz Walter die Frechheit, Wolfgang Overath sein rechter Fuß, Paul Breitner die Moral, Matthäus fehlt alles und Schuster fehlt sowieso - Beckenbauer fehlte nichts.
Dennoch wurde er zum Sargnagel des neuzeitlichen bundesdeutschen Kickerunwesens. Zuerst führte ausgerechnet er über die ehemals schwungvollen Münchner Bayern erneut deutsche Untugenden in den Fußball ein: Nüchternheit, Sachlichkeit, Kampfkraft, den Hang zur Zerstörung, Vorsicht, Risikoscheu. Heraus kam eine Der-Zweck-heiligt-die-Mittel -Mentalität, die die Fußballelite des Landes in den letzten Jahren so zutiefst unsympathisch machte.
Mephisto selbst, der Geist, der stets verneint, wurde nach der unseligen Ära Derwall zum Spiritus rector der landesüblichen Kickerzunft bestellt. Franz Beckenbauer wurde Teamchef, der Bock zum Leithammel berufen. Er dürfte kaum bemerkt haben, daß er damit die Aufgabe übernommen hatte, seine eigene Saat mit Stumpf und Stiel auszurotten.
Doch Beckenbauer konnte nicht mehr über seinen Schatten springen, der Hang zur Vorsicht behielt stets die Oberhand. Risiko und Angriff predigend, griff er im letzten Augenblick regelmäßig auf Sicherheit und Defensive zurück. In dem Wissen, daß seine Leute ohnehin nicht so spielen können, wie er es sich vorstellt, läßt er sie so spielen, wie sie es können. Ein guter Trainer zeichnet sich jedoch gerade dadurch aus, daß die Spieler bei ihm besser spielen, als sie es können.
Nein, mit der aktuellen Mannschaft ist kein Blumentopf zu gewinnen. Höchstens vielleicht eine Europameisterschaft. Strikte Defensive, gewürzt mit einer gehörigen Portion ungesunder Härte und etwas Glück, könnten das bundesdeutsche Team ins Finale hieven - eine Horrorvision mit Wahrscheinlichkeitsgehalt, deren Realisierung jedoch nichts daran ändern würde, daß sich der hiesige Fußball einmal mehr in einer tiefen Talsohle befindet.
Wer aber könnte ihn dort herausholen? Udo Lattek etwa, den die Springer-Crew mit aller Macht zum Beckenbauer-Nachfolger küren möchte? Das darf bezweifelt werden. Ein schlechter Kolumnist ist erwiesenermaßen noch lange kein guter Bundestrainer.
Also wohl doch nur Franz Beckenbauer selbst. Er brauchte sich nur wie sein Trainerkollegen Cruyff auf seine Anfänge zu besinnen und seinen Spielern etwas einhauchen von jenem Geist von 1966, damals, als er beim 5:0 gegen die Schweiz elegant um Torhüter Elsener herumscharwenzelte und das Leder so behutsam ins Tor stupste, daß die Fernsehapparate daheim vor Wonne dahinschmolzen, als die Pässe gleich doppelt und dreifach ankamen, wenn es sein mußte, auch über 40 Meter, als selbst so grobe Klötze wie Held und Emmerich für kurze Zeit das Fußballspielen lernten, als Haller..., als Seeler..., als Overath..., seufz...
Stark gekürzte Fassung eines im Bonner Stadtmagazin 'de Schnüss‘ erschienenen Artikels.
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