: „Eine gottverdammte Stadt der Frauen"
■ Ellen Pence initiierte in Duluth (USA) das Programm zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. Das Projekt mit Täterkursen und sofortigem Knast bei Rückfällen funktioniert seit 1981
taz: Gehören Sie zu den Müttern des Projektes in Duluth?
Dr. Ellen Pence: (lacht). Eher zu den Urgroßmüttern. In den 70ern habe ich im Frauenhaus gearbeitet und mich geärgert, weil Polizei und Justiz nichts gegen die häusliche Gewalt unternahmen. Ich beschloß, in einer Stadt Justiz und Polizei modellhaft zu verändern.
Sie sind den Europäerinnen weit voraus. Welche Faktoren haben die Reform begünstigt?
Schon in den 70er Jahren wurden auf Druck der Frauenhausbewegung überall in den USA die Polizeigesetze geändert: Seither muß die Polizei den Mann mitnehmen, wenn Spuren der Mißhandlungen zu sehen sind. Ein Erfolg, doch die Polizisten wendeten das Gesetz nicht an. Die Frauen konnten die Polizei jetzt aber wegen Nicht-Einschreitens verklagen. Eine Frau beispielsweise bekam 1,8 Millionen US-Dollar zugesprochen: Sie hatte unter Lebensgefahr die Polizei gerufen. Nachdem die Beamten unverrichteter Dinge wieder abgezogen waren, stach ihr Mann 11mal auf sie ein. Wir gingen also zum Polizeichef von Duluth und sagten: Entweder Sie ändern etwas oder Frauen werden Sie mit Klagen überziehen. 1981 hatten wir den Polizeichef, die Staatsanwaltschaft und die Richter soweit.
Wie geht die Polizei jetzt vor?
Die Beamten ermitteln bei häuslicher Gewalt sehr sorgfältig, machen Fotos, fragen die Nachbarn usw. Bei klarer Beweislage legen sie dem Täter Handschellen an und bringen ihn in Gewahrsam – meist über Nacht oder übers Wochenende. Dann werden die Männer dem Richter vorgeführt. Sie bekommen im Regelfall eine Bewährungsstrafe. Sie müssen an einem Täterkurs teilnehmen, 27mal im Jahr. Bevor sie nach Hause zurückgelassen werden, wird die Frau gefragt, ob sie mit der Rückkehr einverstanden ist. Wir glauben nicht daran, daß ein reiner Männerort wie ein Gefängnis die Männer frauenfreundlicher macht, im Gegenteil. Deshalb kommen die meisten Rückfälligen höchstens für 20 Tage in Haft.
Hatten die Frauen nicht Angst, ihre Männer würden nur noch wütender von der Polizei zurückkommen?
Natürlich. Die Frauen wollten zwar, daß die Polizisten die Männer mitnahmen. Aber sie wollten keinen Prozeß. Sie fürchteten, ihre Partner dadurch noch mehr zu reizen. 90 Prozent der Frauen weigerten sich, im Prozeß auszusagen. Wir erklärten ihnen, daß nicht sie die Anzeige erstatten, sondern der Staat. Sie hätten deshalb keine Möglichkeit mehr, das Verfahren noch zu stoppen. Die Männer bekamen das ebenfalls mitgeteilt. Im Endeffekt hatten die Frauen deshalb wenig von ihren Männern zu befürchten.
Wie funktionieren die Trainingskurse mit den Männern? Hatten Sie auch schon mal Juristen dabei?
Ja. Einige Staatsanwälte sind schon im Kurs gelandet. Kein Wunder, denn jeder 15. erwachsene männliche Einwohner von Duluth ist mittlerweile wegen häuslicher Gewalt schon belangt worden. Meistens sind das Männer aus den ärmeren Schichten. Mittelschichtsfrauen rufen statt der Polizei lieber gleich einen Scheidungsanwalt an.
Eins muß ich betonen: Die Männerkurse funktionieren nur, wenn die Täter bei einem Rückfall sofort hinter Schloß und Riegel gebracht werden. Nur so habe ich als Lehrerin im Kurs eine starke Position. Dann kann ich sagen: Also, Jungs. Heute fehlt Bill Petersen. Er hat zu Hause wieder zugeschlagen und sitzt für 20 Tage im Gefängnis. Hier ist seine Adresse. Sie können ihn gern besuchen. Spätestens dann wissen die Männer, daß es ernst ist. In Deutschland dagegen werden Täterkurse angeboten, ohne daß den Männern Konsequenzen drohen. Dann bin ich als Lehrerin doch in einer völlig schwachen Position. Ich kann höchstens sagen: Nun, wie fühlen Sie sich denn heute? Kurse ohne den Rückhalt der Justiz sind sogar gefährlich. Die Männer lassen ihre Wut über den Kursbesuch an den Partnerinnen aus.
Lassen sich die Erfolge in Duluth in Zahlen fassen?
Ja. Seit zehn Jahren hatten wir bei häuslicher Gewalt keinen Mord an einer Frau. Es gibt auch viel weniger verletzte Frauen. Auch weniger verletzte Beamte gibt es, denn die Polizisten verhalten sich jetzt viel professioneller einem Mißhandler gegenüber. Außerdem wird die Polizei nicht mehr so oft in ein und dieselbe Wohnung gerufen. Unter Frauen in Duluth kursiert inzwischen ein dummer Spruch: „Wenn du dich schon von deinem Alten verprügeln läßt, dann am besten in Duluth. Hier passiert wenigstens was, wenn du die Polizei rufst.“ Unter den Männern ist es genau umgekehrt. Neulich war ich bei einem Polizeieinsatz dabei und hörte einen Mann fluchen: „Warum nur bin ich in diese gottverdammte Stadt gezogen? Das ist doch eine Stadt der Frauen.“ Interview: Barbara Debus
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