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Archiv-Artikel

Eine etwas andere Briefmarkensammlung

FRANKREICH Philatelistische Sonderdrucke verschenkte die französische Post jahrzehntelang an Präsidenten und Minister. Einer hat sie zu Geld gemacht und einen Skandal ausgelöst. Ein anderer kuckt echt in die Röhre

PARIS taz | Es war eines der bestgehüteten Geheimnisse der Französischen Republik. Ausgerechnet ein früheres Regierungsmitglied hat es ausgeplaudert. In seinem Buch über Politik, Geld und Moral enthüllt Martin Hirsch, bis vor kurzem in Sarkozys Regierung als Hochkommissar für die Jugend und die Armutsbekämpfung zuständig, dass seit 1923 die Staatspräsidenten, Regierungschefs und zahlreiche Minister bis 1999 von der staatlichen Post Briefmarken geschenkt bekamen. Dabei handelte es sich nicht etwa um normale Ausgaben auf einem schmucken Umschlag mit Ersttagsstempel, sondern um außergewöhnlich Spezialdrucke, die nie in Umlauf gebracht wurden und darum bei Sammlern einen besonders großen Liebhaberwert haben.

Aus der kleinen Aufmerksamkeit der ehemaligen PTT-Direktion wird nun ein handfester Finanzskandal. Laut Hirsch habe der frühere Postminister Gérard Longuet dank dieser philatelistischen Nebeneinkünfte eine Villa in Saint-Tropez erstanden. Pikiert antwortete Longuet, heute Fraktionssprecher der Regierungspartei UMP im Senat, das stimme so nicht und sei auf jeden Fall sehr „unloyal“. Er ist bislang der Einzige, der diese Briefmarken, die offiziell gar nicht existierten, zu Geld gemacht hat. Auch der heutige Regierungschef François Fillon hat zugegeben, solche philatelistische Sonderdrucke erhalten zu haben. Nur versichert er nonchalant, die würden bei ihm auf dem Dachboden verstauben. Charles de Gaulle vermachte sie wie andere Geschenke einem Museum. Einer seiner Minister schenkte sie dem Postmuseum in Paris, wo sie eigentlich hingehören. Er ist aber auch der Einzige.

Gestoppt hat diesen einer Bananenrepublik würdigen Brauch Präsident Jacques Chirac am Ende der Neunzigerjahre. Nicht etwa, weil er etwas gegen diskrete Nebenverdienste gehabt hätte, sondern weil die Post reorganisiert wurde. Nur geht darum der jetzige Staatschef Nicolas Sarkozy leer aus. Das muss dieser als besonders ungerecht empfinden, denn im Unterschied zu all den anderen ist er ein wirklich begeisterter Briefmarkensammler. RUDOLF BALMER