: Eine „enthauptete“ Partei
■ Länderrat der Grünen macht sich Gedanken um das politisch korrekte Verhalten der Abgeordneten bei der Bosnienfrage
Erfurt (AFP/taz) – In Jürgen Trittins Augen war es „ein schwarzer Tag für die Friedenspolitik“. Als im Dezember ein großer Teil der Bundestagsabgeordneten des Bündnis 90/Die Grünen dem Bundeswehreinsatz in Bosnien zustimmte, war für den Bundesvorstandssprecher der Partei klar, daß das ein Nachspiel haben muß. Am Wochenende debattierte nun der Länderrat über das gespaltene Votum der Fraktion. Trittin hielt den Parlamentariern vor, mit ihrem Verhalten hätten sie gegen das Prinzip der Basisdemokratie verstoßen und die Partei „enthauptet“. Die Fraktion habe die Bitte der Partei mißachtet, deren Kritik an den Bosnien-Plänen der Bundesregierung im Bundestag einzubringen. Zuvor hatte Fraktionssprecher Joschka Fischer den „tiefen Ernst“ unterstrichen, mit dem die Abgeordneten die Frage behandelt hätten und Respekt vor der „Gewissensentscheidung“ der Parlamentarier gefordert. Fischer sieht sich „durch die Entwicklung in Bosnien bestätigt“. Ohne die militärische Begleitung wäre es nicht zum Friedensschluß gekommen.
Bei der Bundestagsabstimmung im Dezember hatten 22 Grünen- Abgeordnete gegen die Entsendung der Bundeswehreinheiten zur Sicherung des Friedens in Bosnien gestimmt, fünf enthielten sich. 22 stimmten für den Einsatz, obwohl der Bremer Parteitag der Grünen die Fraktion wenige Tage zuvor „gebeten“ hatte, ihm nicht zuzustimmen.
Die zum linken Flügel gehörende Fraktionssprecherin Kerstin Müller bedauerte vor den rund 60 Delegierten des Länderrats das gespaltene Verhalten der Fraktion. Sie habe sich damit als „nicht mehr handlungsfähig“ erwiesen. Dadurch sei „Schaden entstanden“, denn die Fraktion habe sich eines Teils ihrer Basis entledigt. Müller forderte jedoch zugleich Partei und Fraktion auf, zum „Integrationskurs“ zurückzukehren, der in den vergangenen Jahren gut funktioniert habe. In der anstehenden Debatte der Grünen über die Steuer- und Sozialpolitik dürften sich Vorgänge wie in der Bosnienfrage nicht wiederholen.
Die zum „Realo“-Flügel gerechnete Bundesvorstandssprecherin Krista Sager betonte, bei dem Streit um das Bosnien-Votum gehe es um den Widerstreit zwischen den Prinzipien der Achtung der Gewissensfreiheit des Einzelnen einerseits und der innerparteilichen Demokratie andererseits. Im Gegensatz zu Müller vertrat sie die Meinung, das geteilte Votum zum Bosnien-Einsatz habe den Grünen „genutzt und nicht geschadet“, die schwierige Diskussion habe ihnen „Sympathie und Anerkennung eingebracht“.
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