: Eine dunkle Landpartie
Dreckig, grausam, wütend und von anrührender Zärtlichkeit: Sasha Waltz' Tanzstück Na Zemlje beim Sommertheater-Festival ■ Von Marga Wolff
Der programmatische Blick des diesjährigen Internationalen Sommertheater-Festivals von West- nach Osteuropa war für die Berliner Choreografin Sasha Waltz zu einer künstlerischen und zutiefst menschlichen Auseinandersetzung geworden. Eine Begegnung, die sich schließlich zu dem gefeierten Tanztheaterstück Na Zemlje („auf Erde“) entwickelt hat, das am 10. und 11. September den abschließenden Höhepunkt des Festivals auf Kampnagel bildet.
In Ljubimowka, auf dem ehemaligen Landsitz des Theaterpädagogen Konstantin Stanislawski vor den Toren Moskaus, arbeitete die erfolgreiche Tanztheaterfrau mit ihrer Compagnie und sechs russischen Tänzern. Postmoderne Bewegungsforscher trafen auf Tänzer und Körperakrobaten, die noch im traditionellen Meister-Schüler-Verhältnis von Gennadij Abramov in expressiver Bewegung an Moskaus berühmter Schule der Dramatischen Kunst ausgebildet wurden. Zusammengeschweißt hat sie das gemeinsame Leben auf dem Fleckchen Erde – heute umsäumt von Plattenbauten –, auf dem einst Tschechow seinen Kirschgarten ersonnen haben soll. „Drei Wochen“, erzählt Waltz, „haben wir dort draußen zusammen gelebt und gearbeitet, bei Wind und Wetter, Matsch und Regen. Für mich war von vornherein klar, dass das Bühnenbild Erde sein wird.“ Das Ergebnis ist eine äußerst düstere Vision vom russischen Landleben.
Sasha Waltz ist Deutschlands derzeit vielversprechendste Hoffnungsträgerin im Tanztheater. Seit die gebürtige Karlsruherin sich entschlossen hat, gemeinsam mit dem Regisseur Thomas Ostermeier ab kommender Spielzeit die Berliner Schaubühne zu leiten, wird sie gar als Erneuerin des Tanztheaters in der Nachfolge von Pina Bausch gefeiert. Doch Vergleiche weist die 35-Jährige strikt von sich: „Ich werde versuchen, mich künstlerisch weiterzuentwickeln, mir auch Fehler erlauben und weiterhin experimentelle Projekte auf die Beine stellen. Abgesehen davon: Mein Hintergrund sind die Amerikaner der Postmoderne. Mit der Folkwang-Tradition verbindet mich nichts.“
Ausgebildet an der School for New Dance Development in Amsterdam – später tanzte sie in New York und Paris –, liebt sie, trotz ihres abstrakt-körperbezogenen Blicks auf Tanz und Bewegung, das Theater. Und sie will Geschichten erzählen. Unterhaltung und Experimentierfreude waren für sie nie Gegensätze. Leichfüßig tanzten sich Sasha Waltz & Guests seit 1990 mit der Trilogie Travelouge, mit Zweiland und Allee der Kosmonauten in temporeicher Slapstick-Manier an die Spitze der freien deutschen Transzene und avancierten zum umschwärmten Kulturexport des Goethe-Instituts. Letzteres gab auch den An-stoß zur russisch-deutschen Koproduktion Na Zemlje.
„Im Gegensatz zu der Leich-tigkeit meiner bisherigen Arbeiten“, bestätigt Waltz, „ist es ein dunkles, schweres Stück, dem Gefühl entsprungen, das ich Russland gegenüber habe. Ein Gefühl vom Verlust der Natur, dem Verlust von Spiritualität, auch von Religiosität. Für mich stellt das Stück eine Art Erinnerungsarbeit dar.“ Die Idee sei gewesen, die innere Natur des Menschen in der äußeren, zerstörten und wenig beschaulichen Natur zu spiegeln. Darüber hinaus haben sie die opulenten Gemälde Pieter Breughels inspiriert. „Seine apokalyptischen Bilder, das Brennen, das darin zu finden ist“, stellt Waltz fest, „waren eine wichtige Quelle.“ Chaos und Fülle paralleler Handlungen verbinden sich in Waltz' Landpartie zu einem dynamischen Gruppenstück – dreckig, grausam, wütend und von anrührender Zärtlichkeit. Und es riecht nach Heu und feuchter Erde. Fr, 10. und Sa, 11. September, jeweils 20 Uhr, k6
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