: Eine anhaltende Stigmatisierung
Der Film „Lebensunwert“ vom Kölner Filmemacher Peter Krieg zeigt im Müsteraner Cinema erstmals den Kampf des NS-Opfers Paul Brune – ein Thema, das auch den neuen Schwerpunkt des Geschichtsorts Villa ten Hompel bildet
Hunderttausende Menschen wurden in der NS-Zeit Opfer der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Auch in Westfalen begannen die Verbrechen 1934 mit Zwangssterilisationen und führten ab 1939 zur „Euthanasie“. Paul Brune überlebte die Mordaktionen. Den Stempel „lebensunwert“ musste er aber auch nach 1945 mit sich herumschleppen – bis ins vergangene Jahr. Der Kölner Regisseur Peter Krieg hat einen Film über Brunes Erfahrungen gemacht: „Lebensunwert“ wird jetzt erstmals im Münsteraner Cinema gezeigt.
Ein notwendiger Film, der psychiatrische und bürokratische Kontinuitäten ebenso zeigt, wie den zähen Kampf des Protagonisten. Fünf Mal seit 1966 hatte sich Brune an den Petitionsausschuss des Düsseldorfer Landtags gewandt. Erst im Januar 2004 erhielt er die höchstmögliche Entschädigung als überlebendes „Euthanasie“-Opfer – 260 Euro im Monat. Und eine offizielle Entschuldigung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) für das erlittene „schlimme Unrecht“ während der NS-Zeit und in den Jahrzehnten danach. Die Unterstützung für Kriegs Film durch den LWL scheint denn auch ein Ausdruck von Lernfähigkeit zu sein.
Brune kommt Mitte der 1930er Jahre als uneheliches Kind ins Nonnen-Waisenhaus in Lippstadt. Wegen seiner „Unruhe“ schiebt man ihn 1943 in die „Irrenanstalt“ Dortmund-Applerbeck, dann in die „Kinderfachabteilung“ nach Niedermarsberg ab. Der Anstaltspsychiater Heinrich Stolze stuft ihn wie so viele als „erbkranken gemeingefährlichen Schizophrenen“, als „lebensunwert“ ein. Brune entgeht der Ermordung mit Glück. Das Landgericht Münster spricht Stolze 1953 als „erwiesenermaßen unschuldig“ frei.
Zu dieser Zeit sind nach Brune Misshandlungen in Niedermarsberg noch an der Tagesordnung. Er selbst erreicht 1957 aus der geschlossenen Psychiatrie in Münster heraus die gerichtliche Aufhebung seiner Entmündigung. Er studiert, macht sein Staatsexamen. 1978 verhindert das Gesundheitsamt Bochum sein Referendariat. Unter Hinweis auf seine Akte aus der Nazizeit. Auch dagegen klagt er erfolgreich. In den Schuldienst aber wird er nie übernommen. Die Filmpremiere und das folgende Podiumsgespräch „Psychiatrie ohne Menschlichkeit?“ werden ausgerichtet vom LWL-Landesmedienzentrum, dem Filmservice Münsterland und der Villa ten Hompel. Die Gedenk- und Forschungsstätte zeigt noch bis zum 13. März die Wanderausstellung „Medizin ohne Menschlichkeit – Eugenik, „Euthanasie“, vertuschte Verbrechen und offener Protest“.
Die Villa ten Hompel war von 1940 bis 1945 Schaltzentrale der regionalen Ordnungspolizei. Hier wurden Deportationen und Massenerschießungen von Juden, Sinti und Roma, die Bewachung von Zwangsarbeitern, aber auch Luftschutzmaßnahmen koordiniert. In den 50er und 60er Jahren war sie Sitz des Dezernats „Wiedergutmachung“ für politisch, rassisch, religiös und eugenisch Verfolgte. Für seine neue Dauerausstellung ab Oktober, die sich mit der „Entschädigung“ beschäftigt, sucht der jetzige Geschichtsort zur Illustration noch nach zeitgenössischen Alltagsgegenständen und Dokumenten, insbesondere nach einem Röntgenbildbetrachter. MARCUS TERMEER
19:00 Uhr, Cinema, MünsterInfos: 0251-4927109