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„Eine ängstliche Entscheidung“

■ Rechtsanwalt Nicolas Becker zur Abschiebung des angeblichen ETA-Terroristen Benjamin Ramos Vega: BVG leistet Folter Vorschub

taz: Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVG), das die Abschiebung als „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“ bezeichnet?

Nicolas Becker: Ich halte die Entscheidung für ängstlich, obrigkeitsstaatlich und wenig grundrechtsfreundlich. Ich finde, daß sie in einer Reihe jüngst ergangener Entscheidungen steht, die alle den Eindruck erwecken, als ob das BVG sein Kontingent an grundrechtsfreundlichen, rechtsstaatlichen Entscheidungen erschöpft hat. Ich meine, daß diese Entscheidung auch über den Fall Ramos Vega hinaus Bedeutung hat. Das BVG unterstellt einerseits, daß der Haftbefehl auf Beweismitteln beruht, die durch Folter eines Dritten gewonnen wurden. Andererseits ist es gleichwohl der Meinung, daß ein Verwertungsverbot bestehe, weil dadurch völkerrechtliche und in der Bundesrepublik geltende rechtliche Mindeststandards verletzt seien. Das finde ich deshalb besonders unglaublich, weil die UN-Antifolterkonvention Folter abschaffen will und auch ein Verwertungsverbot begründet. Wenn die Meinung des BVG richtig wäre, dann wird der Folter durch solch eine Entscheidung eher Vorschub geleistet.

Das BVG geht davon aus, daß sich Spanien an die internationalen Abkommen zur Verhütung von Folter hält.

Diese Überzeugung beruht im wesentlichen auf Darlegungen der spanischen Regierung beziehungsweise der Botschaft und des spanischen Justizministeriums, die in sogenannten Aidemémoires sowohl während des Auslieferungsverfahrens als auch in einer weiteren Ausarbeitung gegenüber dem Bundesverfassungsgericht abgegeben worden sind. Diese stellen im wesentlichen dogmatisch die in Spanien gültige Rechtslage dar, an der wir nie irgendwelche Zweifel geäußert haben. Das Bundesverfassungsgericht hat sich aber mit der vielfach dokumentierten davon abweichenden Praxis nicht auseinandergesetzt.

Wie sieht die Praxis aus?

In Spanien hat sich unter der Haut der demokratisch rechtsstaatlichen Oberfläche im Justiz- und Polizeibereich gerade bei der Terroristenbekämpfung eine Fülle von vordemokratischen und franquistischen Praktiken gehalten, die einen Großteil der Strafrechtspflegepraxis in diesem Bereich ausmachen und so weit gehen, daß sie ganz erheblich das Gefüge der spanischen Regierung zu erschüttern geeignet sind.

Was erwartet Ramos Vega in Spanien?

Eine schlechte medizinische Versorgung – für einen HIV-Infizierten eine sehr schlimme Sache. Ihn erwartet weiterhin eine unangenehme Haft, ein Prozeß, eine Verurteilung und die Aussicht, aller Wahrscheinlichkeit nach im Gefängnis zu sterben.

Ich bin der Meinung, daß es sich im Fall Ramos Vaga eher um einen Unterstützerfall handelt, vergleichbar mit den RAF-Prozessen bei uns. Durch das sehr publizitätsträchtige Auslieferungsverfahren und die Zwischenentscheidung des Kammergerichts wird das sehr hoch gehandelt. Das hat den Nachteil, daß es in Spanien zu einer Prestigefrage gemacht wurde. Andererseits hat die Publizität vielleicht auch einen kleinen Schutzschild an öffentlicher Aufmerksamkeit zur Folge. Interview: Barbara Bollwahn

siehe Bericht Seite 5

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