: Eine Zumutung für die Zunft
■ Fritz Fischer ist tot. 1961 löste er mit seinen Studien zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs den ersten Historikerstreit der Bundesrepublik aus
Berlin (taz) – Die prominenten Historiker haben das Buch einmütig verdammt. Voll „tiefer Traurigkeit“ und „Sorge im Blick auf die kommende Generation“, kommentierte es Gerhard Ritter, während Golo Mann mäkelte: „Das ganze Werk scheint uns im Grunde verfehlt.“ Und Michael Freund konnte nichts „grundsätzlich Neues“ darin finden, außer der „aufgewärmten Kriegsschuldlüge der Alliierten in ihrer krassesten Form“. Ja, dieser „Herausforderung an die ganze deutsche Historikerschaft“ sollte begegnet werden, forderte Theodor Schieder.
Das Hauptwerk Fritz Fischers, der am Mittwoch 91-jährig starb, hieß „Griff nach der Weltmacht“ und war fast schon erledigt, kaum das es 1961 erschienen ist. Der Grund war Fischers brisante These: Das Deutsche Reich und sein Kaiser Wilhelm II. seien nicht in den Ersten Weltkrieg „hineingeschlittert“, sondern hätten ihn spätestens seit 1911 herbeigeführt, um endlich zur Weltmacht aufzusteigen. Diese „Kriegszielpolitik“ war zuvor stets zurückgewiesen worden, da sie letztlich auch den Kriegsschuldparagraphen des Versailler Vertrages untermauerte. Eine Zumutung für die Zunft. Aber auch in der Öffentlichkeit und der Politik stieß Fischers These auf heftige Ablehnung. Auf dem Berliner Historikertag 1964 musste sich Fischer vor den Objektiven der Fernsehkameras verteidigen – so etwas hatte es noch nie gegeben. Aber Fischers Buch fand auch Verteidiger. Aufgeklärte Konservative wie Paul Sethe in der Zeit lobten, dass wenige historische Werke einen so „erschüttern, ja umwerfen“. Im Ausland galten Fischers Thesen als Allgemeingut.
Fritz Fischer war ungewollt zum Rebell geworden. Dazu hatte ihn sein Werdegang wahrlich nicht prädestiniert. 1908 im fränkischen Ludwigsstadt geboren, hatte er zunächst in Erlangen, später in Berlin studiert und 1934 zunächst in Theologie sowie drei Jahre danach in Geschichte promoviert, Thema: „Moritz August von Bethmann Hollweg und der deutsche Protestantismus“. Als Soldat im Zweiten Weltkrieg geriet er in Gefangenschaft. 1947 übernahm er einen Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte in Hamburg. Während eines zweijährigen Aufenthalts in den USA schärfte er seine Sicht auf die jüngste deutsche Geschichte. Seit Mitte der Fünfzigerjahre vertiefte er sich in Akten zum Ersten Weltkrieg. Im Potsdamer Zentralarchiv entdeckte er schließlich das so genannte Septemberprogramm des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg, das zur wesentlichen Grundlage seiner berühmten These wurde.
In den Siebzigerjahren radikalisierte Fritz Fischer seine Thesen noch, indem er sie auf die Weimarer Republik und den NS-Staat anwandte, um Kontinuitäten in der deutschen Geschichte zu erklären – allerdings mit wenig Erfolg. Dann wurde es ruhig um Fischer, weder in den Historikerstreit noch in die Goldhagen-Debatte hat er sich eingemischt. Für junge Historiker allerdings wird die Fischer-Kontroverse noch lange ein Lehrstück über ihre Zunft sein. dah
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