piwik no script img

Eine 'Stern‘-Stunde des Enthüllungsjournalismus

■ Ein 'Stern‘-Reporter warb fiese Entmieter in Berlin an/ Die »Bösewichter« waren von der MieterGemeinschaft und selbst einer heißen Story auf der Spur

Hamburg/Berlin. Spion gegen Spion beim konspirativen Treff an der Gedächtniskirche: Ein seriöser Herr im Anzug folgt zwei finster aussehenden Typen in schwarzen Lederjacken. Sie verhandeln um heißen Abriß, darum, Mieter aus ihren Wohnungen zu schikanieren. Der Herr im Anzug ist ein Spekulant, der seine Häuser leerräumen will und die beiden Typen sind die kriminellen »Entmieter«, die er dazu braucht. Per Chiffreanzeige haben sie sich gefunden: »Wir wollen sanieren, unsere Mieter weigern sich, auszuziehen — wer weiß gegen Erfolgshonorar Rat«, hieß es in der 'Berliner Morgenpost.‘

Das Ergebnis dieses und einem Dutzend weiterer Treffen mit ähnlich üblen Typen verkaufte die Hamburger Zeitschrift 'Stern‘ diese Woche als spannende Enthüllungsgeschichte aus dem Spekulantensumpf — und produzierte damit nach den falschen Hitler-Tagebüchern eine weitere Ente. Denn nicht nur der Miethai war ein 'Stern‘-Reporter, auch zwei der vom 'Stern‘ vorgeführten Entmieter waren selbsternannte Undercover-Agenten: Es handelt sich um Klaus Nolden von der Berliner MieterGemeinschaft nebst einem Bekannten.

Mitarbeiter der MieterGemeinschaft nämlich lasen die Anzeige in der 'Morgenpost‘. Auf die Idee zu kommen, den Miethai zu enttarnen und sich zu dem konspirativen Treffen zu verabreden, war eines. Nolden und sein Freund dachten sich ein paar hinreichend brutale Entmietungsmethoden aus (»... Fußballfans sind die Stufe zwei: Krakeelen, saufen, randalieren. Und plötzlich fehlt ein Stück von der Treppe.«), nahmen ein Tonband mit und postierten einen Fotografen mit Teleobjektiv an einer unauffälligen Ecke — genauso wie der 'Stern‘-Reporter, der zu allem Überfluß auch noch Unterkofer heißt. Der Fotograf der MieterGemeinschaft sollte anschließend den vermeintlichen Miethai bis in dessen Wohnung verfolgen, wurde jedoch abgehängt.

Anschließend, so plante die MieterGemeinschaft, sollte in ihrer Zeitschrift 'MieterEcho‘ die große Story zum Thema »Terror gegen Mieter« erscheinen. Mit der großen Story kam ihr allerdings der 'Stern‘ zuvor. So fand der entsetzte Nolden — der sich dem angeblichen Miethai mit richtigem Namen und der Telefonnummer der MieterGemeinschaft angedient hatte — sein Konterfei im 'Stern‘ wieder. Und: Ausgerechnet mit Nolden (Original-Ton 'Stern‘: »Er redet über Terror und Brandstiftung wie ein Bankbeamter über Zins und Belastung«) machte Unterkofer die Geschichte auf.

Nun hatten 'Stern‘-Mitarbeiter zwar mit dem Berliner Mieterverein vorher über die Aktion gesprochen, nicht jedoch mit der kleineren Konkurrenzorganisation MieterGemeinschaft. Trotzdem wäscht das Hamburger Blatt die Hände in Unschuld. »Wir haben versucht, alle Entmieter zu überprüfen, aber wir mußten ja auch vorsichtig sein«, erklärte der Ressortleiter der 'Stern‘-Wirtschaftsredaktion, Hünerkoch, auf Anfrage der taz. »Das Risiko war uns vorher klar.« Und in dieser »schlimmen Sache« ziehe man an einem Strang. Der 'Stern‘ hätte schon eine Menge Zuschriften von betroffenen Mietern bekommen und wolle weiter über solch üble Entmietungsmethoden berichten.

Auch die MieterGemeinschaft ist nicht ganz glücklich darüber, daß sich die Spekulantenbekämpfer gegenseitig die Schau stehlen. »Entmieter und skrupellose Hausbesitzer gibt es schließlich genug. Und der 'Stern‘ hat einige Leute vorgeführt, mit denen unsere Mitglieder schlimme Erfahrungen gemacht haben«, sagte Mitarbeiter Gerhard Heß. Man hätte der Zeitschrift weitere Informationen liefern können, hätte er nur vorher angerufen. So ähnlich sieht das auch Hünerkoch. »Wenn wir die Geschichte fortsetzen, fragen wir auch bei der die MieterGemeinschaft nach.« Eva Schweitzer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen