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Eine Stadt sucht einen Mann

■ Seles-Attentäter Günter Parche muß sich ab Dienstag erneut vor Gericht verantworten Von Lisa Schönemann

Günter Parche ist ein unauffälliger Mann Anfang der Vierzig. Klein, schmächtig, mausgraue Haare. Hose und Jackett des verschrobenen Sonderlings wären selbst mit einem Bügeleisen nicht mehr in Form zu bringen. Er wird es trotzdem schwer haben, sich ab Dienstag unbemerkt in der Stadt zu bewegen. Aus allen Teilen der Welt kommen zu Beginn der Berufungsverhandlung gegen den Seles-Attentäter vom Rothenbaum nicht nur Drohbriefe an seinen Verteidiger und die Richterin, sondern auch Heerscharen von Photoreportern. Sie werden den Steffi-Graf-Fanatiker jagen. Kein Hotel will ihn unter diesen Umständen aufnehmen.

Eine Kleine Strafkammer des Landgerichts wird sich ab dem 21. März erneut mit der Frage beschäftigen, ob der gelernte Dreher aus Thüringen die serbische Tennisspielerin Monica Seles lediglich verletzen oder etwa töten wollte. Er war am 30. April 1993 unbemerkt auf den Center Court gelangt, hatte aus einer Einkaufstasche ein scharfes Küchenmesser gezogen und der Rivalin seines Idols Steffi Graf eine zwei Zentimeter tiefe Wunde im Rücken zugefügt. In der ersten Instanz erkannte Amtsrichterin Elke Bosse auf gefährliche Körperverletzung und verhängte eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Nicht mehr und nicht weniger, als jeder andere bekommen hätte. Trotz der internationalen Empörung. Das war vor anderthalb Jahren. Das Berufungsbegehren der Nebenklägerin Seles – vertreten durch den Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate – folgte auf dem Fuße. Auch die Staatsanwaltschaft wollte das Urteil nicht kampflos hinnehmen.

Günter Parche kehrte in sein karges Zimmer auf dem Resthof in der Nähe von Gera zurück, wo er mit seiner Tante lebt. Vor seiner Abreise zum Tennisturnier nach Hamburg hatte er alle Briefe an Steffi Graf, die Photos und Poster in Sicherheit gebracht. Damit sie bei einer eventuellen Festnahme nicht der Polizei in die Hände fielen. Seinen Job als Dreher hatte er an den Nagel gehängt, weil ihn die Kollegen wegen seiner Leidenschaft für Steffi Graf hänselten. 1988 hatte er in der DDR für 10.000 Mark einen Videorecorder aufgetrieben, um sein Idol in Ruhe betrachten zu können. Nachdem die Brühler Tennisgröße 1990 bei den German Open in Berlin gegen Monica Seles verloren hatte und später die Spitze der Weltrangliste räumen mußte, verfiel Parche in Depressionen. Und beschloß, die Konkurrentin Seles für wenige Wochen auszuschalten.

„Meine Liebe zu Steffi Graf ist grenzenlos“, hatte er in der Untersuchungshaft dem psychiatrischen Gutachter Wolfgang Pinski anvertraut. Der Sachverständige attestierte ihm vor Gericht eine „schwere Persönlichkeitsstörung“ und wollte eine verminderte Schuldfähigkeit des „skurrilen Einzelgängers“ nicht ausschließen. Parche kann seine Angebetete nur noch zu Hause am Bildschirm bewundern: Er hat auf allen in Frage kommenden Tennisplätzen der Welt Hausverbot.

Der Prozeß ist bis Anfang April terminiert. Eins ist sicher: Monica Seles wird zu Hause in Florida bleiben und ihren Psychiater schicken, falls jemand fragt, wie es ihr geht. Sie hat seit dem Attentat kein Turnier mehr bestritten. Spannend wird das Justiz-Match allein dadurch, daß sich mit Gerhard Strate und Otmar Kury, dem Strafverteidiger des Angeklagten, zwei Anwälte am Netz treffen, die die Sache nicht ohne sportlichen Ehrgeiz betreiben. Mindestens einer von ihnen gilt als schlechter Verlierer.

„Wir wollen nicht in erster Linie erreichen, daß der Mann härter bestraft wird“, betont Nebenklagevertreter Strate. Vielmehr gehe es um „ein gewisses Maß an Aufklärung“. Schließlich habe Parche auf die Halsregion der ahnungslosen Tennisspielerin gezielt. Eventuell sei er gestrauchelt, bevor er zustach; und die Verletzungen der Serbin wären ganz anders ausgefallen, wenn sich nicht ein Mitglied des Sicherheitsdienstes auf den Angeklagten gestürzt hätte. Dies soll in der zweiten Instanz anhand von Zeugenaussagen geklärt werden. Parche-Anwalt Kury sieht der Verhandlung trotz der Drohungen aus dem Ausland gegen ihn und die Vorsitzende Richterin Gertraud Göhring gelassen entgegen. Er hat seinem Mandanten geraten, „die Story nicht zu verkaufen“, weil sich „mit Unrecht kein Handel treiben“ lasse. Das Höchstgebot der vor der Kanzlei lauernden Schar von Journalisten habe im Oktober bei 30.000 Mark gelegen.

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