: Eine Mausefalle für den Gerichtsvollzieher Von Ralf Sotscheck
Gerichtsvollzieher haben einen beschissenen Job – vor allem, wenn sie im Auftrag des britischen Transportministeriums unterwegs sind. Das Ministerium will nämlich die Verkehrsprobleme des Landes mit Hilfe von immer mehr und immer breiteren Autobahnen lösen. So soll der M 25, die Ringautobahn um London, auf der täglich während der Rush hour alles zum Erliegen kommt, stellenweise auf 14 Spuren verbreitert werden. Zu dem autofreundlichen Programm gehört auch die Verlängerung des M 11 durch das Londoner East End. Das einzige Problem: Auf der fünf Kilometer langen Strecke stehen zur Zeit noch 350 Häuser.
Nun hegen die Ministerialbeamten nicht erst seit gestern den Wunsch, den schönen neuen Motorway zu bauen, sondern die Pläne gibt es schon seit 25 Jahren. Leider kam immer etwas dazwischen: Einmal waren es die vorgeschriebenen öffentlichen Anhörungen, ein anderes Mal die kleinliche Europäische Umweltkommission und last not least die Menschen in den zum Abriß verurteilten Gebäuden, die zwei Jahrzehnte lang eine Zermürbungstaktik angewendet haben: Sie reichten Petitionen ein, schrieben Briefe, becircten Abgeordnete und ließen Beschwerden los. Doch im Frühjahr wurde es ernst: Das Transportministerium begann die Häuser räumen zu lassen, die man sich durch Grundstücksenteignung seit 1968 unter den Nagel gerissen hatte.
Die Beamten hatten die Rechnung jedoch ohne die BewohnerInnen gemacht. Kaum hatten die Gerichtsvollzieher ein Haus zugenagelt und versiegelt, da war es auch schon wieder bewohnt. Sehr zum Ärger der Beamten gibt es ein Gesetz, das den Abriß eines Reihenhauses verbietet, solange das Nachbarhaus noch bewohnt ist. Nicht verboten ist es allerdings, das Haus unbewohnbar zu machen.
Zwar haben die BewohnerInnen inzwischen Unterstützung von erfahrenen Bürgerinitiativen aus anderen Stadtteilen erhalten, doch auch das Ministerium hat dazugelernt: Wenn ein Haus geräumt ist, wird sofort der Wachschutz beauftragt, um Besetzungen zu verhindern. Selbst auf den Freiflächen passen Wachmänner rund um die Uhr auf, damit niemand ein Zelt errichtet.
An Mick Thompson hat sich die Behörde bisher jedoch die Zähne ausgebissen. Vor zwei Wochen erhielt der ehemalige Bauarbeiter per Einschreiben den Räumungsbefehl mit einer Frist von acht Tagen. Das war Zeit genug, um alles für einen würdigen Empfang der Gerichtsvollzieher vorzubereiten. Der Endfünfziger baute Fensterläden aus Holz und Stahl, die er mit Eisenträgern und Eisenbahnbohlen festklemmte. An der Decke brachte er ein hölzernes Fallgatter an, das bei Gefahr mit Hilfe eines komplizierten Flaschenzugsystems hinter die Eingangstür geschwenkt werden kann. Sollte es den im Häuserkampf untrainierten Gerichtsvollziehern wider Erwarten gelingen, diese Hürden zu überwinden, kann Thompson durch ein kleines – mit weiteren Bohlen verschließbares – Loch in der Holzwand am Fuß der Treppe ins Obergeschoß abhauen. Dort hat er ein Faß mit 200 Litern Wasser deponiert. Sollte das Haus dennoch den Feinden in die Hände fallen, will Thompson auf das Dach klettern und sich erhängen. Einen Galgen hat er bereits gebaut. Bisher hat sich aber noch kein Gerichtsvollzieher blicken lassen. Ist ja auch ein Scheißjob.
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