: Eine Liebe aus Krapp-Papier
Sybille Broll-Pape inszeniert im Bochumer Prinz Regent-Theater Tankred Dorsts Dauerbrenner „Fernando Krapp hat mir diesen Brief geschrieben“ als Portraitstudie
Dieser Krapp ist weder vereinsamt noch erfolglos. Der Jungwitwer ist nichts Geringeres ein ganzer Mann. Einst hat er ein Vermögen geheiratet und dann geerbt. Jetzt will er die schönste Frau in Spanien. Doch Fernando Krapp ist kein Romeo: Er kann sich Julia leisten.
Einen Versuch über die Wahrheit hat Tankred Dorst Anfang der 1990er Jahre sein Stück „Fernando Krapp hat mir diesen Brief geschrieben“ genannt. Es wurde ein Dauerbrenner an den Bühnen. Theaterchefin Sybille Broll-Pape hat das Vierpersonenstück am Bochumer Prinz Regent Theater inszeniert – als rosamonochromes Kammerspiel für eine Videokamera. Die soll anhand sezierter Gesichtszüge der handelden Personen ihre wahre Intention aufdecken. Doch selbst in den filmleinwandgroßen Projektionen an der Bühnenrückwand kann niemand in die Köpfe schauen, in denen eine Wahrheit verborgen liegt, hinter die niemand kommen kann, so sehr sich jemand auch bemüht: Krapp scheint wohl ein Macho zu sein. Er kauft Julia, indem er die Schulden ihres Vaters begleicht. Er zeigt keine Gefühle, geht fremd, kümmert sich nicht um den Sohn, steckt seine Gattin, als sie einen Liebhaber hat, ins Irrenhaus, wäscht ihr Gehirn und doch... Eine sicher geglaubte Wahrheit bekommt am Ende Risse. Als Julia dahinsiecht und stirbt, schneidet er sich die Pulsadern auf und verblutet mit ihr im Arm. Hat er sie doch geliebt?
Broll-Pape zeigt eine 100-minütige gleichmäßige Welle, mit der sie die Handlung unaufgeregt ans Ufer rollen lässt. Ihre riesigen Videobilder spiegeln die porentiefen Befindlichkeiten der Protagonisten, die sich so ausdruckslos erklären. Schade eigentlich nur, dass die Schauspieler, die wie häufig bei Broll-Pape ständig die Bühne bevölkern, die bewegliche Kamera beim Standortwechsel manuell bedienen müssen. Das wirkt trotz der zeitlupenhaften Bewegungen störend im dramaturgischen Ablauf, den die Regisseurin ansonsten gekonnt mit den audiovisuellen Projektionen verknüpft.
Am Ende versinkt die Bühne ins Black. In der Dunkelheit stehen nur Verlierer. Julia auf ihrer romantischen Suche nach wahrer Liebe könnte sich in ihrem Mann geirrt haben, nur weil er sich nie erklären wollte. Ihr Liebhaber, ein Graf, hat wohl seine eigene Lebensmaxime und die Geliebte verraten, weil er von Fernado gekauft und der einzige richtig Böse in der Geschichte zu sein scheint. Und der Macho selbst geht auch nur scheinbar für Julia in den Tod: Fernando Krapp folgt lediglich seinem wichtigsten Schatz, um ihn selbst gegen Gevatter Tod verteidigen zu können.
Was am Ende als einzige Wahrheit bleibt, hat Dorst ins Stück nicht implementiert: Es überlebt das angehäufte Kapital und sein männlicher Erbe, der zwar eingeführt, dessen Schicksal aber nicht geklärt wird.
PETER ORTMANN
Fr., 20:30 Uhr, Prinz Regent TheaterInfos: 0234-771117