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■ VorschlagEine Lanze fürs Depressive brechen mit den Exilbriten Sophia im Knaack

Der Melancholiker war mal ein sehr beliebter Lebensentwurf für noch jungshafte Männer, die gerade den Pickeln entwachsen waren. Inzwischen scheinen all jene, die sich in schummrigen Kneipen in ihre langen Mäntel kuscheln und überm Bier leise übers letzte Philosophieseminar diskutieren, nahezu ausgestorben. Ein letzte Lanze für diese Spezies brechen nur noch ein paar von den Jungs von damals, die die letzten Jahre damit verbracht haben, das Erwachsenwerden erfolgreich zu verweigern. Im Gegensatz zu Oskar Matzerath neigt man hier allerdings eher zur Leptosomie und spielt nicht die Blechtrommel, sondern die Gitarre. Dann heißt man Bill Callahan und nennt seine Band Smog – oder steht den Tindersticks vor und trägt den Namen Stuart Staples.

Robin Proper- Sheppard, der sein Vehikel Sophia taufte, hat immerhin einen höchstoffiziell in seiner Biographie verankerten Anlaß für all die Todsterbenstraurigkeit. 1994 starb mit Jimmy Fernandez sein bester Freund und Bassist seiner damaligen Band God Machine, die gemeinsam von San Diego nach London umgezogen war. Ein Jahr lang nahm Proper-Sheppard gar kein Instrument mehr in die Hand, dann legte er den Grunge von God Machine zu den Akten, und drei Jahre intensive Trauerarbeit mündeten im Erstling von Sophia. „Fixed Water“ war allein dem Verstorbenen und seinem Andenken gewidmet. Das war entnervend langsam, voller Songs, die bis aufs Gerippe ausgezogen waren, eine Platte, auf der die Schwermut ziemlich greifbar wurde. „Death comes so slow“, sang Proper-Sheppard. Manchmal wußte man nicht mehr, ob man überhaupt so nah heran will an diesen Menschen.

Nun läßt sich feststellen, daß es Proper-Sheppard mit der Zeit doch etwas besser geht. Auf „The Infinite Circle“ hat die Geschwindigkeit leicht angezogen, manche Melodie ist zaghaft heller, und es tauchen auch die klassischen Themen der Popmusik auf, also Liebe, Liebe und Liebe, wenn in diesem Fall natürlich meist die unglückliche. Aber immer wieder findet Proper-Sheppard zu seinem Lieblingsthema zurück: Wenn er von der Frau erzählt, die ihn zerstört hat, betet er anschließend dafür, nicht einsam sterben zu müssen.

Trotzdem beteuert Proper-Sheppard in Interviews, gar nicht so depressiv zu sein, und hofft, demnächst auch seine Glücksgefühle in Musik umsetzen zu können. Was nun wirklich nicht nötig ist, denn glücklich ist man heutzutage doch schon selber. Thomas Winkler

6.10., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

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