piwik no script img

Eine Klasse für sich

Die Förderung von Hochbegabten scheidet die Geister: Während die einen spezielle Eliteklassen für sie fordern, befürchten andere dadurch Nachteile bei der Entwicklung ihrer sozialen Kompetenzen

von CORINNA BUDRAS

Wenn kleine Kinder ihre Krabbelphase überspringen und gleich zu laufen beginnen, sollten die Eltern anfangen, sich ernsthafte Gedanken zu machen. Denn dann könnte der Nachwuchs hochbegabt sein, und das bringt neben beneidenswerten Zukunftschancen oft auch eine Menge Ärger. Schulprobleme und Schwierigkeiten mit den Klassenkameraden sind bei vielen Hochbegabten üblich. Und noch immer ist unklar, wie sie am effektivsten gefördert werden können, ohne ihnen jede soziale Kompetenz zu rauben.

Auch der Berliner Senat möchte sich jetzt stärker an einer Lösungsfindung beteiligen. In der vergangenen Woche kündigte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) an, dass die Koalition die Begabtenförderung weiter ausbauen wolle. Der Senat hat dazu nun einen Arbeitskreis eingerichtet, der verschiedene Modelle erarbeiten soll.

Die Schwierigkeiten beginnen meist schon mit der Frage, wie Hochbegabung erkannt werden kann. Zumal besonders begabte Kinder häufig eher mit schlechten Noten als mit überragenden Leistungen auffallen. Ein gutes Gedächtnis, ein frühes Interesse an Zahlen und Buchstaben sind nur erste Hinweise, eine endgültige Einschätzung kann nur ein Psychologe geben. In Berlin gibt es rund 10.000 Kinder, die einen Intelligenzquotienten über 130 haben (der Durchschnitt liegt bei 110) und deshalb als hochbegabt eingestuft werden.

Das Phänomen der geistigen Überflieger wird seit rund 30 Jahren wissenschaftlich untersucht, auf politischer Ebene wurde jedoch eher verhalten reagiert. Mit der Förderung von Eliten setzt man sich leicht dem Verdacht aus, sozial Benachteiligte zu vergessen. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hat im März versucht, diesem Image entgegenzuwirken. Zu Beginn des zweitägigen Kongresses an der Humboldt-Universität zum Thema „Finden und Fördern von Begabungen“ mahnte sie an, dass Chancengleichheit in der Bildung bedeute, nicht nur sozial Benachteiligte, sondern auch Hochbegabte zu fördern.

Diese These vertritt Jutta Billhardt, Vorsitzende des Vereins Hochbegabtenförderung, schon lange. Die Mutter von zwei hochbegabten Söhnen fordert, Eliteklassen einzuführen. Bisher gibt es in Berlin keine schulische Einrichtung für begabte Kinder. Sie können lediglich bis zu zwei Klassen überspringen und an einigen Schulen spezielle Arbeitsgemeinschaften besuchen. Während Thomas John, Sprecher der Senatsschulverwaltung, das aktuelle Angebot für völlig ausreichend erachtet, ist für Billhardt klar: „Hochbegabte sind nicht integrativ zu beschulen.“ Da Lehrer den Spagat zwischen „normalen“ und hochbegabten Schülern nicht schaffen könnten, müssten sie getrennt unterrichtet werden. Als leuchtendes Beispiel gilt ihr vor allem Bayern und Baden-Württemberg, wo mit besonderen Klassen schon gute Erfahrungen gemacht worden seien.

Bei diesem Konzept bleibt für Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, die soziale Kompetenz jedoch auf der Strecke: „Durch Eliteklassen werden Hochbegabte von der Normalität ausgeschlossen“, sagt er. Eine Förderung könne auch innerhalb des Klassenverbandes erreicht werden, schließlich gebe es ja auch andere Formen der Förderung wie die äußere Leistungsdifferenzierung, bei der die Schüler klassenübergreifend in verschiedenen Leistungsstufen unterrichtet werden.

Aus demselben Grund steht auch die ehemalige FU-Erziehungswissenschaftlerin Karin Kohtz den exklusiven Eliteklassen skeptisch gegenüber. Sie beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Hochbegabtenförderung und ist jetzt Leiterin der Berliner Begabtenberatung. Reine Hochbegabtenklassen sind ihrer Ansicht nach allenfalls als Modellprojekt in der Oberstufe wünschenswert. Für die Grundschule sei das jedoch nicht zu empfehlen, „denn kleine Kinder sind nicht nur intellektuell, sondern auch ganzheitlich zu betrachten“. Sie spricht sich deshalb eher für eine größere Durchlässigkeit und flexiblere Strukturen aus, wie sie bereits an der Richard-Wagner-Grundschule in Lichtenberg praktiziert werden. Dort können auch Erstklässler den Französischunterricht der Fünft- oder gar Sechstklässler besuchen. Dass deshalb hin und wieder Sechsjährige mit Elfjährigen eine Schulbank drücken, sei nicht problematisch, wenn sich die Kinder erst einmal daran gewöhnt hätten. „Der Vorteil daran ist, dass die Kinder nicht aus ihrem Klassenverband gerissen werden und dieses Modell kein zusätzliches Geld kostet“, sagt Kohtz.

Auch eine engere Kooperation mit den Universitäten hält Kohtz für erstrebenswert. Vor drei Jahren ist der Modellversuch „Mathe-Studium für Schüler“ des Bundesbildungsministeriums ausgelaufen. Der Forschungsbericht zieht eine positive Bilanz. „Der Modellversuch müsste jetzt nur noch von den Schulen umgesetzt werden“, fordert Kohtz. Aber bisher pflegt allein das Andreas-Gymnasium eine intensive Verbindung mit der Humboldt-Universität.

Abgesehen von diesen vereinzelten Bemühungen, die Hochbegabten besonders zu fördern, ist ein klares Konzept bislang nicht zu entdecken. Aber mit der Einrichtung des Arbeitskreises ist der Senat zumindest in die Krabbelphase eingetreten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen