: Eine Chance für Bremens Drogenpolitik -betr.: "Neuer Drogenbeauftragter", taz vom 15.4.94
Betr.: „Neuer Drogenbeauftragter“, taz vom 15.4.
Ich bin seit mehreren Jahren in der Drogenarbeit/Drogenpolitik engagiert und verfolge demzufolge die regionale taz-Berichterstattung zu dieser Thematik besonders interessiert. Schon lange ärgere ich mich dabei über unsaubere Recherchen sowie über das wiederholte Verwechseln von Namen, Trägern und Funktionen. Das sollte einfach nicht vorkommen. Immerhin hat die taz bis dahin jedoch den akzeptierenden Ansatz in diesem Bereich unterstützt.
Schon über die Rolle der taz im laufenden Bewerbungsverfahren um die Position des/der neuen Drogenbeauftragten habe ich mich geärgert, – von fairem journalistischem Stil gekennzeichnet war sie jedenfalls nicht. Empört hat mich jedoch der Artikel von Dirk Asen-dorpf über den neuen Drogenbeauftragten Ingo Michels. Frau Gärtner hat wirklich Mut bewiesen, sich nach dem Weggang von Gus van der Upwich mit Ingo Michels einen Mann nach Bremen zu holen, dessen Name in Fachkreisen mehr als europaweit mit der Forderung nach Entkriminalisierung von Drogengebrauchern, Legalisierung von Heroin, Druckräumen etc. verbunden wird, also einer fortschrittlichen und pragmatisch ausgerichteten Drogenpolitik.
Nachzulesen war, daß Michels in seinem Gespräch mit der Presse u.a. einen Schwerpunkt bei Angeboten für Drogenprostituierte setzen will (ein Ziel, das nach der Zerschlagung des Drogenstrichs und der Schließung der Einrichtungen für diese Frauen übrigens schon in der Ära Upwich überfällig war...!).
Mir scheint, diese Details wollte der anwesende taz-Redakteur wohl nicht hören. Welche vollmundigen Bekenntnisse erwartet er von Michels, knapp 2 Wochen nach Amtsantritt, die Senatorin neben sich, die Entlassung von Staatsrat Kniesel im Nacken? Und wenn Michels sich, wie seine derzeitige neue Rolle es erfordert, natürlich klugerweise in bestimmten Fragen zurückhält, suggeriert Asendorpf flugs, er sei konfliktscheu.
Upwich, den ich in der Zusammenarbeit übrigens immer geschätzt habe, war z.B. nie ein ausdrücklicher Befürworter der pragmatischen Methadonvergabe Bremens, wie sie vom Gesundheitsressort vertreten und umgesetzt wird, und auch kein Mitstreiter für den Erhalt von niedrigschwelligen Hilfsangeboten. Dieses scheint die taz vergessen zu haben. Es kann doch wohl auch Michels nicht zum Nachteil gereichen, daß es vor seiner Einstellung stukturelle Veränderungen in diesem Arbeitsbereich gegeben hat.
Ich habe die taz bisher immer für die konsequente Befürworterin einer fortschrittlichen Drogenpolitik gehalten. Daß die taz mit ihrer Berichterstattung diesem neuen Mann in der bremischen Verwaltung, von dem wir Impulse für eine, u.a. an niederländischen Verhältnissen orientierte, pragmatische Drogenpolitik in Bremen und auch bundesweit erhoffen können, ein paar Tage nach Amtsantritt nicht ermutigt, sondern eher diskreditiert, läßt sie für mich in drogenpolitischer Hinsicht fachlich/inhaltlich völlig orientierungslos erscheinen.
Ich erwarte jedoch von „meiner“ taz in Zeiten der erklärten Repression gegenüber Junkies eine klare Linie im drogenpolitischen Bereich, denn schließlich spiegeln sich gerade hier die gesellschaftlichen (Macht)Verhältnisse in einem besonders drastischen Maß wieder.
Sabine Michaelis, Bundesvorstand akzept (Verband für akzeptierende Drogenarbeit)
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