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»Eine Art Waschzwang hat sich durchgesetzt«

■ Der AL-Abgeordnete Bernd Köppl über den Ausstieg aus der Koalition und das Mißtrauensvotum gegen Bürgermeister Momper/ »Wir hätten mit Pätzold über eine veränderte Polizeistrategie verhandeln müssen« INTERVIEW

taz: Betreibt die AL mit ihrem Mißtrauensantrag gegen den Regierenden Bürgermeister nicht eine Politik der »verbrannten Erde«, wie Momper das nennt?

Bernd Köppl: Nein, das ist mehr die Sehnsucht nach der Radikalität, die die AL wieder einmal befallen hat. Wenn sie die Koalition jetzt schon verlassen, dann wollen sie sie auch ordentlich zertrümmern. Wir wollen nicht nur als Geprügelte aus der Koalition rausgehen, sondern wenn schon, dann mit richtig Ramba-Zamba. Für die Mehrheit in der Fraktion ist der Mißtrauensantrag der Politikersatz.

Ist damit auch die Perspektive, eventuell mit einer geläuterten SPD wieder einmal zusammenzuarbeiten, zerstört?

Das habe ich meine Fraktion auch gefragt. Ich glaube, daß der Bruch der Koalition aber auch das Mißtrauensvotum gegen Momper alle Möglichkeiten für eine Fortführung der rot-grünen Koalition sehr stark verschlechtern. Die Mehrheit der AL interessiert das nicht mehr. Im Kern sind beide Beschlüsse unpolitisch. In der AL haben viele das Gefühl, sich die Hände in der Koalition zu sehr schmutzig gemacht zu haben. Jetzt hat quasi eine Art der kollektiven Selbstreinigung stattgefunden. So eine Art Waschzwang hat sich durchgesetzt. Jetzt hoffen sie, daß sie mit aufrechtem Gang aus dieser Koalition herausgehen können. Ich empfinde das als eine Katastrophe für die AL. Alle Gegner einer sozialen und ökologischen Politik können sich freuen. Die aufwendige und immer gegen Rot- Grün eingestellte Kampagne »Bürger für Berlin« kann beendet und das Geld versoffen werden. Aber vielleicht gelingt es ihnen ja noch, den Stroeble zu einer Exklusivanzeige zu bewegen, der liegt ja voll auf ihrer Linie. Auch der CDU wurde ein wunderbares Wahlgeschenk gemacht. Etwas besseres ist für sie gar nicht möglich. Nur die Leute müssen sehr traurig und deprimiert sein, die aktiv für eine ökologische und soziale Reformpolitik gekämpft haben. Aber sie haben leider in der AL- Fraktion nicht mehr die Mehrheit.

Steckt denn eine taktische Überlegung bei der AL dahinter, diesen Mißtrauensantrag zu stellen? Irgendein geplanter Deal mit den Sozis?

Nein. Denn dieser Beschluß ist im Kern etwas unpolitisches. Es gibt keinerlei strategische Überlegungen. Und die Debatte, wie es nun weitergehen soll, hat in der Fraktion auch zu abenteuerlichen und lächerlichen Vorschlägen geführt. Der einzige Vorschlag, wie man wirklich auf die Situation reagieren soll, kam von mir. Ich habe vorgeschlagen, ein Räumungsmoratorium zu stellen und einen Vermittler zu fordern, der für die großen Probleme, die da anstehen vermittelnd eingreifen kann. Und die AL soll ein Konzept vorlegen, wie dieser gigantische Wohnungsleerstand von 25.000 Wohnungen in Ost-Berlin abgebaut werden kann. Wie Wohnungen für Leute zur Vefügung gestellt werden können, die bereit sind, Wohnungen auf niedrigen Standard instand zusetzen. Diese Vorschläge sind auch akzeptiert worden. Aber ich habe gesagt, dies muß in der Regierung durchgesetzt werden.

Dazu sah die Fraktion offenbar keine Chance mehr.

Ich habe zu Beginn der Fraktionsdebatte gesagt, es gibt bei Pätzold Verhandlungsbereitschaft, laßt ihn uns einladen, laßt uns mit der SPD-Fraktion darüber reden. Staffelt hatte ebenfalls erklärt, er möchte mit uns reden. Und dann hätten wir versuchen müssen, in Verhandlungen diese veränderte Polizeistrategie durchzusetzen. Was ich aber noch schärfer kritisiere, ist, daß die Mehrheit der Fraktion nich einmal die Mitglieder der AL in diese Entscheidung miteinbezogen hat. Ich habe gesagt, daß wir für diese Entscheidung eine Mitgliedervollversammlung brauchen, weil die Vollversammlung sowohl die Koalition beschlossen hat, als auch die Senatorinnen bestimmt hat. Aber auch das wurde von der Mehrheit abgelehnt, weil sie das Gefühl hatte, daß sie dann vielleicht in eine politische Auseinandersetzung treten muß, daß dann auch die Gesamtleistung der rot-grünen Koalition angesprochen wird und daß es dann nicht die gleichen Mehrheiten gegeben hätte wie in der Fraktion. Die Basisdemokratie ist bei der Entscheidung total auf der Strecke geblieben. Die Funktionäre haben sozusagen die Macht wieder zurückerobert. Die Mehrheit der Fraktion wollte hier unwiderrufliche Fakten setzen wie zum Beispiel den Rücktritt der Senatorinnen, so daß die Mitgliedervollversammlung nichts mehr zu sagen hat. Interview: CC Malzahn

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