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Ein verschwiegenes Kapitel

„Verschleppt ans Ende der Welt“ – Ein zwiespältiger Dokumentarfilm von Freya Klier über deutsche Zwangsarbeiterinnen in Sibirien  ■ Von Elke Schubert

Mit ihrem Dokumentarfilm über eine Gruppe deutscher Frauen, die östlich der Oder lebten und während der letzten Kriegsmonate zur Zwangsarbeit nach Sibirien verschleppt wurden, „ohne je zur wissen, warum“ (Filmkommentar), will die Autorin Freya Klier auf ein „verschwiegenes Kapitel der deutschen Geschichte“ aufmerksam machen. Ein solcher Film steht – wie schon seinerzeit Helke Sanders „Befreier und Befreite“ einem Dilemma gegenüber: Die Verschleppung müßte als Konsequenz eines von Deutschen angezettelten Krieges gezeigt werden, ohne das Leiden der einzelnen Frauen zu desavouieren. Schnell könnte man in den Verdacht geraten, Ursache und Wirkung zu verwechseln. Man müßte also auf bequeme Erklärungsmuster wie das von der geschlechtsbedingten Opfer- und Täterrolle verzichten.

Mit drei ehemals verschleppten Frauen hat sich Freya Klier auf Spurensuche ins hinterste Sibirien begeben. Sie berichten vor der Kamera – unterstützt von Dokumentaraufnahmen – über die letzten Kriegsmonate, Vergewaltigungen durch Soldaten der Roten Armee und von einem kräftezehrenden Alltag im Arbeitslager, wo sie Schwerstarbeit verrichten mußten und bis auf die Knochen abmagerten. Von dem erzwungenen Schweigen nach ihrer Rückkehr in die DDR erzählen sie nichts, sonst „wäre der Film zu lang geworden“ (Klier). Weil eine historische Einordnung fehlt, wird die Geschichte der Frauen zur bloßen Aufzählung unendlichen Leids, das keinen Widerspruch zuläßt. Fragen danach, warum beispielsweise Gertrud Gessner, die im Warteland in einem kleinen Dorf mit anderen Polen und Deutschen aufwuchs, bis zum Einmarsch der Roten Armee vom Krieg „nichts gemerkt hat“, während der Off-Kommentar pflichtschuldig darauf hinweist, daß die Wehrmacht ab 1939 die polnischen BewohnerInnen des „Wartegau“ erbarmungslos verfolgte, bleiben unbeantwortet.

Dokumentaraufnahmen über die letzten Kriegsmonate zeigen das Vorrücken der Roten Armee und die endlosen Flüchtlingstrecks nach Westen. Begleitet von anschwellender Musik und leisen Trommelwirbeln wird zu den Bildern ein Kommentar gesprochen, von dem nicht eindeutig zu ermitteln ist, ob er aus einer „Wochenschau“ von 1945 oder von Freya Klier selbst stammt („Ostpreußen wird abgeschnürt... Eine heillose Flucht beginnt... Die Oderschwelle entscheidet über das Schicksal der Flüchtlinge... Wie eine Walze schiebt sich die Rote Armee vorwärts... Erbarmungslose Rache und Gemetzel beginnen“). An dieser Stelle wird in einer kurzen Sequenz über das Wüten der Wehrmacht in der Sowjetunion berichtet. Sie hat sich nicht mit Vergewaltigungen aufgehalten, sondern ganze Dörfer niedergemetzelt, Massenerschießungen von Zivilisten durchgeführt und ein verwüstetes Land zurückgelassen. Um so verwunderlicher ist, daß der Film an dieser Stelle das alttestamentarische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ins Spiel bringt, als könnte man von den Bewohnern eines gebeutelten Landes eigentlich mehr Rücksicht erwarten.

Die drei Frauen wurden mit vielen anderen zunächst ins Sammellager Schwiebus gebracht, in dem vormals die Gefangenen der Nazis interniert waren: „Die Geschichte kehrt sich um.“ Auch weiß der Kommentar zu berichten, daß hier den Frauen die Köpfe noch nicht kahlgeschoren wurden. „Die Aktion sollte reibungslos verlaufen, keine Panik aufkommen.“ Spätestens jetzt befinden wir uns mitten im Dilemma des Films: Freya Klier verwendet visuelle und sprachliche Bilder, die eindeutiger nicht besetzt sein könnten: Waggontüren, die geschlossen werden, immer wieder das Zuschieben des Riegels, das ein Entkommen verhindern soll, Massengräber, trostlose Wälder, weite öde Landschaft, unterlegt mit der schwermütigen Musik von Schostakowitsch und Rachmaninow. Also genau die Ikonographie der Dokumentarfilme über den Holocaust, deren Einsatz, ob beabsichtigt oder nicht, das Schicksal der verschleppten Frauen mit dem der vernichteten Juden gleichsetzt.

Daß der Film diese Interpretation geradezu hervorruft, wurde bei einer Gesprächsrunde in Berlin deutlich. Freya Klier betonte noch einmal, daß sie jenseits aller „Ideologie“ das „persönliche Schicksal der Frauen“ in den Mittelpunkt stellen wollte. Daß man mit der filmischen Umsetzung eines „persönlichen Schicksals“, sei es durch die Montage, sei es durch einen Kommentar, immer eine politische Bewertung vornimmt, ist ihr offenbar nicht bewußt. So konnte ein anwesender Vertreter der Gesellschaft für bedrohte Völker die fehlende Diskussion der Linken über die „verlorenen Ostgebiete“ beklagen und die Vertreibung aus Schlesien und Ostpreußen als „Genozid“ bezeichnen. Holocaust, Vergewaltigungen durch Soldaten der Roten Armee, Vergewaltigungslager im ehemaligen Jugoslawien werden, ihres historischen Hintergrunds beraubt, als anthropologische Konstante festgeschrieben. Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung. Dieser Auffassung fiel es nicht schwer, die 68er, die neuerdings an allem schuld sind, auch für das Verschweigen sowjetischer Greueltaten verantwortlich zu machen.

Auch wenn sowohl Helke Sander als auch Freya Klier ihre Filme in der besten Absicht gedreht haben, den Vergewaltigten wenigstens einmal zu längst notwendiger Publizität zu verhelfen: Sie scheitern letztlich doch an der Schwierigkeit, sowohl dem historischen Ablauf der Dinge wie dem Brüllen der Opfer gerecht zu werden.

Freya Klier: „Verschleppt ans Ende der Welt“. 64 Minuten. Produktion und Verleih: Filmkombinat Berlin. Der Film soll im nächsten Jahr in den Dritten Programmen der ARD laufen.

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