■ Kommentar: Ein toter Hund
Es ist nur ein Zufall. Da sollen die Bürgerrechtsgruppen auf rechtsstaatliche Weise aus dem Haus der Demokratie vertrieben werden, und in Lichtenberg wird das letzte besetzte Haus geräumt. Das Ende einer Epoche ist zu konstatieren, das keinen toten Hund mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Deswegen ist auch zu erwarten, daß heute mehr über den erschossenen Hund zu lesen sein wird als über die Lichtenberger Besetzer. Innensenator Schönbohm ist am erklärten Ziel einer besetzerfreien Stadt angelangt. Dies gelang so leicht, weil Schönbohm nur noch die Trümmer einer Bewegung wegräumen mußte.
Der General hat die hauptstädtische Normierung im Blick, doch sein Erfolgserlebnis gründet paradoxerweise gerade auf der Individualisierung und Fragmentierung der Stadt. Der Verdrängungsprozeß der Unanpaßten, der politisch und sozial Randständigen ist vor allem das Ergebnis einer Entsolidarisierung. Kann sich noch jemand vorstellen, daß einst die Besetzerbewegung ihre Stärke daraus bezog, daß Hunderte von „Paten“ das öffentliche Klima prägten und vor Räumung schützten? Heute steht (und fällt) jedes Projekt für sich allein. Die Agonie des Hauses der Demokratie interessiert nur noch die dort verschanzten Gruppen. Aber das Wunschbild einer aufgeräumten Stadt, wie es sich die konservativen Parteigänger Schönbohms träumen, wird an der Realität einer Großstadt scheitern. Daß sie sich trotzdem einbilden können, sie seien diesem Bild wieder ein Schritt nähergekommen, hat mehr mit der Schwäche ihrer Gegner als der Stärke ihrer Visionen zu tun. Gerd Nowakowski
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