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Ein schwieriges Jubiläum in Wolfsburg

■ Stadt und VW-Werk feiern ihre 50jährige Gründung durch Adolf Hitler / Ausstellung und Fest nebeneinander

Ein schwieriges Jubiläum in Wolfsburg

Stadt und VW-Werk feiern ihre 50jährige Gründung durch Adolf Hitler / Ausstellung und Fest nebeneinander

Etwas problematisch sei das Jubiläum ja schon, meint auch der VW-Sprecher, doch die Wolfsburger selbst können an der Grundsteinlegung durch den Führer heute nichts mehr finden. Ein fröhliches Fest eben - doch auch nicht nur. Die Stadt hat sich zu einer Ausstellung durchgerungen, in der die Vergangenheit ungeschminkt gezeigt wird. Die werkseigene Dokumentation über den Mythos Volkswagen, den es bis 1945 gar nicht gab, steht allerdings noch aus.

Das Glockenspiel außen am Hochhaus, das die Wolfsburger Stadtverwaltung beherbergt, klimpert noch die Melodie zu der Zeile: „Lasset den Lobgesang hören“. „Das war die musikalische Einleitung vom Rathausturm“, wendet sich Oberbürgermeister Werner Schlimme an die vielleicht 1.000 „Bürger und Gäste“, die sich vor dem Festzelt zwischen den Kirmesbuden und den rot-weißen Ständen der VW-Importeure eingefunden haben. „Wir waren heute früh dabei, wie der zehnmillionste Golf das Band in Halle 12 verließ. Nun haben wir mit den fröhlichen Feiern aus Anlaß von 50 Jahren Wolfsburg und 50 Jahren Volkswagen zu beginnen.“ Fünf Tage Bürgermarkt in der Fußgängerzone „Porschestraße“ mit laufenden Programm auf sieben Bühnen, preist der Oberbürgermeister als Höhepunkt der gemeinsamen Jubiläumsfeier an. Danach sticht er ein Faß Bier an, und weil man auch bei den Getränken ausgewogen ist, gibt es noch ein Küsschen von der „Weinkönigin Südliche Weinstraße“.

Die junge Stadt Wolfsburg und der VW-Konzern haben es zum Fünfzigsten an Aufwand nicht fehlen lassen. Über acht Monate, von Januar bis August, ziehen sich die Festveranstaltungen hin, als deren Höhepunkt recht willkürlich die Zeit zwischen dem 1. und dem 5. Juni gewählt wurde. „Am 1. Juli“ - dem wirklichen Gründungsdatum der „Stadt des Kraft-durch-Freude-Wagens“ - „konnten wir nicht feiern, weil das in der Ferienzeit gewesen wäre“, sagt der Pressesprecher der Stadt.

Feiern ohne zu erinnern

„Bei dem Datum sind wir der Stadt sozusagen auf halbem Wege entgegengekommen“, sagt sein Kollege aus dem VW-Werk, das eigentlich den 26. Mai, den Tag der Grundsteinlegung durch Adolf Hitler, vor 50 Jahren hätte begehen müssen. Es könne aber auch sein, daß man diesem Datum nicht noch mehr Gewicht verleihen wollte, gibt der VW-Pressesprecher zu. Man will feiern, ohne sich erinnern zu müssen.

Der heute 63jährige Herbert Böllstorff steht bei der Eröffnung des Bürgermarktes ganz vorn. Er hat 45 Jahre meist in Nachtschichten „im Werk“ gearbeitet und war schon 1938 bei der Grundsteinlegung dabei, „weil mein Vater SS-Führer war“, wie er unumwunden zugibt. „Von Braunschweig sind wir damals aufmarschiert mit einem HJ-Fanfarenzug. Um neun Uhr kam Adolf die Fallerlerslebenerstraße herunter. Da durfte man nicht rauchen, nicht fotografieren, nur den Arm hochhalten“, beschreibt er den Aufmarsch von „70.000 Volksgenossen“. Die „Ju 88“ und die „Ju 89“ den „Zerstörer“ und den „Sturzkampfbomber“ hat er dann gebaut, als das Werk in Betrieb ging. „Das mit den Kübelwagen lief ja nur nebenbei auf einem Band.“ Doch von den Zwangsarbeitern, die in den 40er Jahren zwei Drittel aller Arbeitskräfte bei VW stellten, will er nichts wissen: „Da war ich dann wohl schon Soldat.“

Wer sich hier wirklich über die Geschichte von Werk und Stadt informieren will, braucht nur ein paar Schritte in das Foyer des Rathauses hineinzugehen. Hier auf den über 100 Schautafeln ist kaum etwas ausgespart. Das Sterben der Zwangsarbeiter ebensowenig wie die Rüstungsproduktion. Erwähnt wird auch, daß der erste Generaldirektor von VW nach dem Krieg, Heinrich Nordhoff „starke rechtsrechtsradikale Kräfte in Betriebsrat und IG-Metall“ gefördert hat. „Streiks hat es bei VW nie gegeben und unter Heinrich Nordhoff schon gar nicht. Nur die Italiener haben so um 1964 mal Rabbatz gemacht. Da war einer im Barrackenlager gestorben, und der Arzt kam wohl nicht schnell genug“, erinnert sich der alte VW-Arbeiter Herbert Böllstorff.

Hauptthema der Austellung ist natürlich die „Stadt ohne Vorbild“, die Planung und das Wachsen dieser merkwürdig gesichtslosen Wolfsburger Stadtlandschaft. Wer eine der vierspurigen Straßen in die Stadt hineinfährt, wird zwar immer nach einiger Zeit auf die riesige Kulisse des VW-Werk stoßen, aber ohne die Hinweisschilder auf das Zentrum hätte er gute Chancen, die Innenstand zu übersehen. Die kleinen Trabantenstädte mit ihren Hochhäusern oder den Siedlungshäusern im Stil der 50er Jahre, in denen die Wolfsburger leben, liegen gut abgeschirmt durch Bäume und Grün abseits der Schnellstraßen. Das Zentrum ist eine Ansammlung von höheren Geschäfts-, Verwaltungsbauten und kulturellen Einrichtungen. Es liegt dem Werk gegenüber, getrennt durch den Kanal, die Eisenbahn, eine breite Parkplatzzone und die vierspurige Heinrich-Nordhoff-Straße. Bis auf die NS-Prunkbauten, die die Nazis haben wollten, ist Wolfsburg im großen und ganzen so geworden, wie es 1938 geplant wurde. Der Österreicher Peter Koller, der 1937 die ersten Entwürfe für die Stadt des KdF-Wagens erstellte, blieb auch in der Nachkriegszeit für die Stadtplanung verantwortlich.

100prozentig gut

Mit seinen 65.000 Arbeitsplätzen bei VW ist Wolfsburg natürlich eine reiche Stadt, die ein breites kulturelles Angebot bieten kann, sich Schmuckstücke moderner Architektur, wie das Kulturzentrum von Alvar Aalto, leisten konnte. „Der Breich der Innenstadt war für die Bürger lange Zeit ein Unort“, heißt es in dem Katalog zur Jubiläumsausstellung. Eine etwa 50jährige Wolfsburgerin, draußen vor dem Rathaus, sagt das gleiche mit den Worten: „Wenn hier nicht gerade das Fest wäre, würden hier doch kaum Leute herumlaufen. Natürlich hängen die Leute überall meist zu Hause vor der Glotze, aber hier ist es wegen des Zwei oder Drei-Schichten-Btriebs im Werk besonders schlimm.“

Wohl gerade wegen des problematischen Verhältnisses zu ihrer Stadtlandschaft müssen die Wolfsburger besonders kräftig feiern. Und wen man auf dem Fest auch fragt, es gibt niemanden, der sich an dem Gründungsdatum stört, das da gefeiert wird. „100prozentig gut“ findet da ein Trupp junger Leute das Fest. Ein VW-Arbeiter meint: „Der Grundstein liegt seit 50 Jahren. Hitler liegt auch unter der Erde, und wenn der den Stein nicht gelegt hätte, müßte man ihn jetzt dafür eigens noch einmal ausbudeln.„Jürgen Voges

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