: Ein rosaroter Blick in die Zukunft
Vor fünf Jahren wurde Slowenien unabhängig. Heute hat das Land den höchsten Lebensstandard im einstigen Jugoslawien. Und über die demokratischen Spielregeln herrscht Konsens ■ Aus Ljubljana Erich Rathfelder
Die slowenische Hauptstadt Ljubljana hat sich für das Unabhängigkeitsfest geschmückt. In den Straßen herrscht Feiertagsruhe. Auf dem Platz vor dem Dankarjev- Dom spricht Präsident Milan Kucan. Wie vor fünf Jahren am Abend des 25. Juni 1991, als er die Unabhängigkeit des Landes ausrief. Und damit den zehn Tage währenden Krieg in Slowenien auslöste, der mit einem Erfolg der Slowenen endete: Die jugoslawische Volksarmee zog ab. Slowenien war unabhängig.
Für Präsident Milan Kućan, den knapp 60jährigen, kleingewachsenen, ehemaligen kommunistischen Parteiführer, ist die Unabhängigkeit eine Erfolgsstory. Sie ist auch sein Lebenswerk. „Slowenien ist frei. Trotz des Verlustes des jugoslawischen Marktes haben wir uns wirtschaftlich stabilisiert. Wir sind gleichberechtigtes Mitglied in der Internationalen Staatengemeinschaft geworden. Wir haben ein demokratisches System geschaffen, das funktioniert.“
Die ersten Eindrücke bestätigen den Präsidenten. Viele der ohnehin schmucken Fassaden in Ljubljana sind renoviert. Auf den Straßen fahren neue Autos deutscher, französischer oder japanischer Produktion, das Bussystem funktioniert, die Schaufenster sind geschmackvoll dekoriert, Straßencafés und Restaurants besetzt, gut gekleidete Menschen flanieren im Zentrum der Stadt.
Für Medina Delalić ist Slowenien schon der Westen. Die 30jährige Bosnierin aus Sarajevo, die seit zwei Jahren in Ljubljana lebt, schwärmt: „In Slowenien klappt alles, die Leute sind arbeitsam, sind deutscher als die Deutschen.“ Medina Delalić weiß, daß sie damit ein Klischee bedient. „Hier hat sogar der Sozialismus funktioniert.“ In Bosnien und Serbien dagegen wäre das Leben schon vor dem Krieg anders gewesen, viel dramatischer und widersprüchlicher. Für sie ist es kaum vorstellbar, daß sie noch vor fünf Jahren mit den Slowenen in einem gemeinsamen Staat gelebt hat. Mit der gleichen Währung, den gleichen Filmen, Musikgruppen und dem gemeinsamen Erziehungssystem.
Schon vor dem Krieg war Slowenien die entwickelteste Republik im ehemaligen Jugoslawien. Mit seinen 1,9 Millionen Einwohnern und einer Fläche von nur 20.000 Quadratkilometern - was acht Prozent der Bevölkerung und acht Prozent der Fläche Exjugoslawiens entsprach - erwirtschaftete die Republik rund 20 Prozent des Bruttosozialproduktes und bestritt den Löwenanteil am Export. Die chemische Industrie, die Elektro- und Elektronikindustrie, der Maschinenbau sowie die verarbeitende Industrie waren und sind leistungsfähig. Hinzu komme der hohe Ausbildungsstand der Beschäftigten, sagt Joze Mencinger.
Der Ökonom und Architekt der slowenischen Wirtschaftsreform ist dennoch nicht ganz zufrieden mit der Bilanz nach fünf Jahren Unabhängigkeit. 1993 habe das Land einen Einbruch erlebt und erst jetzt den Stand der Industrieproduktion von 1989 wieder erreicht. „Seither geht es mit Zuwachsraten um fünf Prozent wieder aufwärts.“ Slowenien habe Märkte in der Europäischen Union und in der ganzen Welt erschlossen. Der Handel mit den Ländern des ehemaligen Jugoslawien mache kaum mehr 15 Prozent der Gesamtbilanz aus. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 7.000 US-Dollar habe Slowenien den höchsten Standard aller ehemals sozialistischen Länder. Die hohe Arbeitlosigkeit von über zehn Prozent aber mache ihm Sorgen.
Ivo Kren hat Angst um seinen Arbeitsplatz. Der 22jährige Mechaniker war zum Zeitpunkt der Unabängigkeit gerade 18 Jahre alt. Die Wirtschaftsreform, so sagt er, treffe vor allem die kleinen Leute. Zwar hätten die Beschäftigten Anteilscheine an den Firmen erhalten. Was nütze dies jedoch, wenn die Firmen pleite gingen? Vor allem die Kleinbetriebe in ländlichen Regionen seien von Schließungen betroffen.
Dr. Miriam Hladnik-Milharćić dagegen fühlt sich wohl. Die 35jährige Sozialwissenschaftlerin ist erfolgreich. Sie hat vielfältige Kontakte zum westlichen Ausland, reiste in diesem Jahr schon zu wissenschaftlichen Kongressen nach Paris, Prag und Los Angeles. „Bestünde Jugoslawien noch, wären diese Kontakte von Belgrad aus wahrgenommen worden“, schmunzelt sie. Die als Beraterin des Erziehungsministeriums tätige Wissenschaftlerin setzt sich für die Modernisierung und Demokratisierung des Erziehungssystems ein.
Unzufrieden ist sie hingegen mit dem wachsenden Einfluß der Katholischen Kirche. Immerhin sei es aber gelungen, die Forderung der Kirche nach obligatorischem Religionsunterricht in den Schulen zurückzuweisen. Sie beklagt auch die veränderte Situation der Frau: Die sei im Sozialismus in bezug auf den Arbeitsplatz, den Lohn und die Gleichberechtigung gesicherter gewesen. Jetzt gerät diese Position hingegen ins Wanken: „Wir wollten jedoch die Demokratie. Wir müssen jetzt für unsere Interessen kämpfen. Die offene Debatte über das Erziehungssystem hat ein Gegengewicht geschaffen. Die Position, die ich vertrete, hat noch keineswegs verloren.“
Tomaz Mastnak stimmt zu. Der Theoretiker des „Slowenischen Frühlings“ forscht heute angesichts des Krieges über Nationalismus, Faschismus und Religion. Anfang der 80er Jahre gehörte er zum Kern der slowenischen Demokratiebewegung. Damals rangen die Antiatomkraftgruppen, die Frauenbewegung, die Musikszene, die demokratische Bewegung mit ihren Zeitungen und Rundfunksendern den ohnehin reformfreudigen Kommunisten weitreichende Konzessionen ab. „Damals wollten wir die Demokratie und nicht die Unabhängigkeit, wir wollten nach Europa, kämpften gegen Intoleranz und das totalitäre System. Wir mußten aber lernen, daß die Demokratie nur im Rahmen der Unabhängigkeit verwirklicht werden konnte.“
Und so bedauert Tomaz Mastnak nichts. „Die Unabhängigkeit hat sich im ganzen gelohnt.“ Das Parteiensystem sei pluralistisch, wobei keine der Parteien über eine Mehrheit verfüge. Und das sei gut so. Eine Rückkehr zum Totalitarismus, wie in Serbien und auch in Kroatien erkennbar, gebe es in Slowenien nicht.
Keine der slowenischen Parteien erreicht mehr als 20 Prozent der Sitze im Parlament. Liberaldemokraten, Exkommunisten, Sozialdemokraten, die Bauernpartei, die Nationaldemokraten, die Grünen, die Christdemokraten und die Vertreter der ungarischen und italienischen Minderheit gehen wechselnde Koalitionen ein. In den wesentlichen Fragen der Gesellschaft herrscht eine große Übereinstimmung. Die Wirtschaftsreform ging deshalb verhältnismäßig reibungslos über die Bühne, weil die Beschäftigten Anteilseigner in ihren eigenen Firmen wurden. Es ist ein Selbstverwaltungssystem entstanden, kein absoluter Bruch mit der Vergangenheit. „Das beste von beiden Systemen nehmen, und die Demokratie weiterentwickeln“, das wünschen sich nach einer Umfrage der Tageszeitung Delo die meisten Slowenen. Nur ein Wermutstropfen bleibt: Die Europäische Union hat den Wunsch nach einer Vollmitgliedschaft noch nicht erfüllt.
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