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kommentarEin richtungsweisendes Urteil des Internationalen Gerichtshofes

Sieg des humanitären Völkerrechts

Das Urteil des Den Haager Jugoslawientribunals gegen Radislav Krstić, den kommandierenden serbisch-bosnischen General beim Massenmord von Srebrenica im Juli 1995, ist ein Sieg des humanitären Völkerrechts und ein bedeutender Schritt vorwärts zu einer internationalen Strafgerichtsbarkeit.

Die Haager Richter befestigten das universell gültige Prinzip individueller Verantwortlichkeit für schwerste Menschenrechtsverletzungen – und führten so das Werk des Nürnberger Gerichtshofs fort. Sie verschafften den überlebenden Opfern Trost und Genugtuung. Sie ebneten den juristischen Weg für die künftige Strafverfolgung von Ratko Mladić, Radovan Karadžić und Slobodan Milošević, die mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für das Massaker inSrebrenica. Und sie errichteten ein Warnzeichen gegen künftige Staatsterroristen.

Erstmals erkannte das Haager Gericht auf Völkermord. Es widerlegte das Argument des Angeklagten, er habe von dem Massenmord keine Kenntnis gehabt, eine Verteidigungslinie, der sich schon die Angeklagten im Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozess bedient hatten. Die Beweisführung des Gerichts stützte sich nicht nur auf Expertisen, die im Lauf des Prozesses die Befehlskette in der bosnisch-serbischen Armee rekonstruierten. Es gelang darüber hinaus, den nur notdürftig chiffrierten Funkverkehr auf der Kommandoebene der bosnisch-serbischen Armee als Beweismittel für die Mittäterschaft von Krstić einzusetzen. Der rechtsstaatliche Charakter des Prozesses kann nicht ernsthaft bestritten werden.

In den ersten Jahren nach dem Massaker von Srebrenica konnte das Jugoslawien-Tribunal auf fast keine Unterstützung der westlichen Mächte rechnen. Es wurde als Pflaster angesehen, das die Untätigkeit dieser Mächte angesichts von Folter und Mord zukleben sollte. Das Gericht und seine Anklagebehörde hatten jahrelang mit einer faulen Realpolitik zu kämpfen, die keine Anstalten machte, die Verdächtigen zu suchen und Haftbefehle zu vollstrecken. Es ist deshalb schlicht falsch, die Haager Richter als Erfüllungsgehilfen der westlichen Politik, insbesondere der der USA hinzustellen. Vielmehr ist es gerade die auf der Universalität der Menschenrechte und auf universelle Strafverfolgung hinzielende Grundlinie des Völkerrechts, die der Supermacht USA immer mehr Kopfschmerzen bereitet.

Für diese Universalität ist das gestrige Urteil ein Meilenstein.

CHRISTIAN SEMLER

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