: „Ein neuer Atlas der menschlichen Anatomie“
■ Gert Jan van Ommen aus den Niederlanden ist Vizepräsident des Human Genome Project
taz: Viele Kritiker fürchten, daß es durch das Human Genome Project (Hugo) irgendwann nur noch perfekte Menschen geben wird. Packt Sie nicht manchmal die Furcht, ein moderner Dr. Frankenstein zu sein?
Gert Jan van Ommen: Die Angst ist nicht neu, daß Wissenschaft und technologischer Fortschritt die letzten Geheimnisse des Menschen aufdecken und daß das sehr gefährlich ist. Das Ergebnis des Genomprojekts wird so etwas sein wie ein neuer Atlas der menschlichen Anatomie. Dann wissen wir aber immer noch nicht, wie alles funktioniert und können weder in die Funktionen eingreifen noch Monster kreieren.
Es wird aber eine Vielzahl von neuen Diagnosemöglichkeiten geben. Und dann kann ausgewählt werden, welche befruchteten Eizellen sich zum Menschen entwickeln dürfen und welche nicht.
Wenn es so weit kommt, daß die Menschen ihre Schwangerschaft auf der Grundlage von bestimmten Eigenschaften auswählen, dann müssen wir uns sicherlich Sorgen machen. Meine Erfahrung aus der klinischen Genetik und der genetischen Beratung zeigt aber, daß die Gesellschaft solche Dinge nicht will und in der Praxis werden Diagnoseverfahren auch nicht in diesem Sinn benutzt. Sie bewahren nur Menschen, in deren Familie es eine erbliche Krankheit gibt, vor der Angst, ein Kind zu bekommen, das so ist wie der eigene Bruder, der an einer Muskeldystrophie litt. Diese Art der Genetik sollte immer als etwas gesehen werden, was dem einzelnen Menschen hilft. Sie ist nicht für die Gesellschaft gedacht, die damit ihre Nachkommen vervollkommnen will.
Wird das nicht eines Tages dazu führen, daß Krankenkassen und Versicherungen sich weigern, die Kosten für ein behindertes Kind zu übernehmen?
Das ist eine unserer größten Sorgen, aber es ist kein unlösbares Problem.
Wie wollen Sie es lösen?
Wir müssen staatenübergreifend Gesetze schaffen, die die genetische Auslese verhindern und Menschen davor schützen, daß man sie zu Tests zwingt. Ansonsten werden genau die Leute, für die wir diese Diagnostik entwickelt haben, diejenigen sein, die sich am meisten ängstigen und den Tests aus dem Weg gehen. Diese Aufgabe müssen die Regierungen wahrnehmen. Ich glaube, daß sich die Versicherungskonzerne des Problems bewußt sind, auch wenn sie Argumente haben, die nicht immer unverständlich sind. Eine Versicherung ist ein Abkommen zwischen zwei Parteien. Doch der einen Seite fehlen Informationen, die die andere hat. So könnten Sie als getestete Person eine sehr hohe Versicherung abschließen, weil Sie wissen, daß Sie nicht mehr lange leben werden. Da muß man einen Mittelweg finden. Das könnte so aussehen, daß Leute sich nicht testen lassen müssen, die sich auf dem normalen Niveau versichern. Wenn jemand aber eine sehr hohe Lebensversicherung abschließen will, dann scheint es einsehbar, daß ihm die Versicherung zusätzliche Fragen zu einem Test stellt. Interview: Karin Bundschuh
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