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Ein klein bißchen ganz anders

Trotz des Scheiterns an Kassel im Halbfinale der Deutschen Eishockeymeisterschaft herrscht bei den Berliner Eisbären große Euphorie  ■ Aus Berlin Matti Lieske

Noch lange nach Spielschluß mußten die Berliner Eisbären zurück in die Halle, um sich, gewandet in eine Art lange Unterhosen, vom vollständig verharrenden Fanblock feiern zu lassen. Nein, sie hatten nicht gewonnen gegen die Kassel Huskies, sondern im vierten Spiel des Halbfinales mit 1:3 verloren und damit den Einzug in die Endspielserie um die Deutsche Eishockeymeisterschaft verpaßt. Nichts war es mit dem Traum vom ersten Titelgewinn eines Ostklubs in einer Profiliga, nichts mit dem Einzug in die Europaliga, doch das tat dem Jubel keinen Abbruch.

Besonders gern wurde die Zeile „Wir sind jetzt die Nummer eins“ in die Wellblechhalle von Hohenschönhausen geschmettert. Gemeint war natürlich die Nummer eins in Berlin, nachdem die Mannschaft das vordringliche Saisonziel der meisten Eisbären-Anhänger, vor den Berlin Capitals zu landen, nicht nur verwirklicht, sondern den Lokalrivalen sogar eigenhändig aus den Playoffs gekippt hatte. Balsam für die geplagten Fanseelen, die es in den vergangenen Jahren zwar stets klaglos hingenommen hatten, daß ihre Idole die Watschenmänner der Liga waren, aber schwer mit der Schande leben konnten, daß es auch vom westlichen Nachbarn meist furchtbar eins auf die Mütze gab.

Ihre östliche Identität haben sich die Eisbären-Zuschauer weitgehend bewahrt. Sie pfeifen die vor Playoff-Partien unsinnigerweise gespielte Nationalhymne nieder, jubeln, wenn die Puhdys vor dem Match „Alt wie ein Baum“ intonieren, singen selber gern „Alt wie ein Baum“, behaupten: „Wir gewinnen den FDGB- Pokal“ und brechen regelmäßig in inbrünstige „Ostberlin“-Rufe aus. Seit sie aber nicht mehr die Underdogs sind, sondern „den dritten Platz in der Liga“ (Manager Lorenz Funk) belegt haben, scheint der Ostalgie-Aspekt allerdings etwas in den Hintergrund zu treten. Dafür offenbarten sich vor allem beim mit 3:6 verlorenen zweiten Auswärtsspiel in Kassel Tendenzen zur Gewalttätigkeit, die bislang kaum zu sehen waren, die aber, wie die Klubverantwortlichen beteuern, eher Trittbrettfahrern in Gestalt von altgedienten Fußball-Hooligans als Eishockeyfans zuzuschreiben sind.

Auf dem Eis ist von östlicher Identität ohnehin keine Rede mehr. Mit Dirk Perschau und Jan Schertz stehen noch zwei DDR- Nationalspieler im Kader, die aber kaum zum Einsatz kamen. Ansonsten ersetzten Manager Funk und Coach Ron Kennedy Namen wie Dietzsch, Stumpf, Losch oder Kannewurf im Mannschaftsbogen rigoros durch Biafore, Nienhuis, Govedaris, Chitarroni oder McKim. Nur die Kassel Huskies machten ähnlich extensiv wie die Eisbären vom Bosman-Geschenk Gebrauch. Den Fans ist es wurscht. Sie besingen Mario Brunetta ebenso euphorisch wie einst Udo Döhler, solange er seinen Kasten sauber hält, und ob die Tore vom Berliner Sven Felski oder vom griechischen Kanadier Chris Govedaris geschossen werden, ist ihnen schlicht egal. Erklärter Publikumsliebling ist ohnehin Oberraufbold Derek Mayer, ein Vertreter der alten kanadischen Eishockeyschule, bei der ein herzhafter Fausthieb allemal mehr wert ist als ein schön herausgespieltes Tor.

Der Großeinkauf zu Saisonbeginn erklärt aber noch nicht den Aufstieg des Teams vom Dauerverlierer zur deutschen Spitzenmannschaft. Schließlich haben andere Klubs ebenfalls investiert – und häufig mehr als die Berliner, die über einen breiten Sponsorenpool verfügen, der die Tankstelle an der nächsten Ecke ebenso umfaßt wie Blockbuster Video und die Berliner Gasag. „Du kannst nicht nur Leute aus der ganzen Welt kaufen und denken, daß es geht“, sagt Coach Ron Kennedy. „Es ist nicht selbstverständlich, daß es zusammenpaßt.“

Bei den Eisbären paßte es, was nach Kennedys Meinung vor allem daran lag, daß er „Charakterspieler“ habe. Kennedy: „Wir waren eine Mannschaft vom Betreuer bis zu McKim.“ Jeder habe seine Rolle hervorragend gespielt. Ein bescheidener Verweis auf die hervorragende Rolle, die der NHL-erfahrene Trainer bei der Einstellung seiner Mannschaft selbst gespielt hat.

An was es den Eisbären mangelt, wurde gegen die Huskies deutlich, die das Match in Berlin von Anfang an unter Kontrolle hatten und kaltblütig den psychologischen Vorteil nutzten, den sie sich bei ihren beiden Heimsiegen zur 2:1-Führung erarbeitet hatten. „Uns fehlt Playoff-Erfahrung“, sagt Kennedy, denn: „unter Druck spielt jeder ein klein bißchen ganz anders“. Tatsächlich waren die Berliner am Dienstag abend im ersten Drittel so nervös, daß ihnen förmlich die Stöcke zitterten, am Ende des Abschnitts stand es 0:2, und als sie sich gefangen hatten, war es schon zu spät. Typischerweise fiel das zweite Gegentor während einer törichten Strafzeit von Verteidiger Greg Andrusak.

Die fehlende Disziplin war das zweite große Problem der Eisbären, nicht nur in den Playoffs. „Das wird besser“, ist Kennedy überzeugt. Akteure, die noch nie in Europa gespielt hätten, müßten eben erst mal „probieren, was geht“. Stürmer Peter John Lee habe seine ersten Jahre in Deutschland fast nur auf der Strafbank verbracht, und auch Mannheim, im Finale gegen Kassel der große Favorit, habe ähnliche Schwierigkeiten gehabt. Das hätte Coach Lance Nethery in den Griff bekommen, und jetzt seien die Adler aus Mannheim dort, wo die Eisbären unbedingt hinwollen. „Wir haben einen Dreijahresplan“, verrät Ron Kennedy. So offenbart sogar der Coach aus dem fernen Kanada ein kleines Stück Ostidentität.

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