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Ein erzromantisches Konzept

■ Lefevre J.C. machte im Institut Français etwas, das einer konventionellen Lesung zum Verwechseln ähnlich ist, sich aber im Effekt als unkonventionelle Ausstellung entpuppt

Sonntag, 31. Oktober 1999, 11.30 Uhr. Kurz im Institut Français vorbeigeschaut. Denn dessen Programmheft versprach für just jenen Zeitpunkt eine Ausstellungseröffnung. Ein trügerisches Versprechen. Zwar sind die Türen des Instituts aufgerissen wie ein gähnendes Maul. Zwar steht im Foyer die obligatorische Miniatur-Armee von Gläsern und Getränken Spalier. Allein, was fehlt ist die Kunst. Statt fester Molekülanhäufungen an der Wand strömen weiche Wellen aus dem Munde eines Herr in schwarzem Existenzialisten-Outfit. Er liest. Auf Französisch. Außerdem nennt er sich Lefevre Jean Claude und legt auch noch Wert auf diese Vertauschung von Vor- und Nachname, auf Vertauschungsvorgänge überhaupt – wie sich später zeigen wird. Zum Glück liegen zwei graue gefaltete DIN-A4-Blätter herum. Auf Deutsch. Darauf eine Art Tagebuch. Unter „Mittwoch, 14. Juli 1999“ wird geschwärmt von der erhabenen Schlichtheit grauer, gefalteter DIN- A4-Blätter; unter „Samstag, 8. Mai 1999“ erfährt man von einem Treffen zwischen Lefevre und dem Weserburg-Kurator Guy Schaenen in Paris. Dabei wurde die Wahl der Sprache für die immaterielle Bremer Ausstellung thematisiert: Gelesene Lesungen müssen verstehbar sein, gelesene Ausstellungen hingegen nicht, weil Sprache auch als Rhythmus und Skulptur funktioniert.

Zum Livelesen aber brachte Lefevre einen andereren Text mit. Auch er liegt in deutscher Übersetzung im Institut aus, auch er ist ein Tagebuch über das Planen einer Ausstellung, die keine Ausstellung mehr sein will. Damals, 1994/95, scheiterte das Projekt. Doch in der Schilderung der inneren Skrupel und äußeren Widerstände im Institute Français ist das Projekt jetzt doch noch zum Ziel gelangt. Ist das verdreht!

Lefevre kündigt die Grenzen zwischen Ich und Werk, Kunst und Kunstreflexion, Prozess und Ergebnis. Alles fließt ineinander, ein erzromantisches Konzept. Ähnliches ist schon bei Schlegel und Novalis angedacht. In seinem vorgelesenen Tagebuch erzählt Lefevre außerdem von seiner Buchlektüre (Leiris, Bourdieu), Kinobesuchen (Ophüls), kurzen Begegnungen mit Künstlerfreunden, dem hartnäckigen Immer-wieder-Fotografieren eines bestimmten Schaufensters. Beim Flanieren durch Cafés, Museen und Straßen reflektiert er über das ganze Arsenal von Möglichkeiten, das dem Kunstmarkt zur Verfügung steht, um die Kunst zu kastrieren: Archivierung, didaktische Erklärungen, eitles Vernissagengebaren. Und immer setzt er diesem Grauen die flüchtige Überlappung von Kunst und Leben entgegen. Eine Schaufenstergestaltung erinnert ihn an Christos Verpackungskünste. Ein Graffitti sticht ihm ins Auge, in dem Moment, wo es übermalt wird. Wo Kunst kaum mehr möglich ist, wird das redliche, zweifeldurchtränkte Abmühen darum zu ihrer letzten Überlebensmöglichkeit. Was wir daraus lernen: Zum Identifizieren einer Ausstellung bleibt nur noch ein einziges letztes untrügliches Erkennungszeichen: Wein, Wasser und Schnittchen für die Gäste. Wenn Sie, liebeR taz-LeserIn, die Gnädigkeit hätten, den vorliegenden Text laut zu lesen, dann hätten auch Sie eine kleine Privat-Ausstellung in ihrem Hause, Mittwoch, 3. November, 7.45 Uhr oder so. Vorrausgesetzt, Sie haben Wein und Schnittchen zur Hand. bk

Die bei Lefevres Lesung zum Einsatz gekommenen Stühle sind – unverrückt – noch zwei Wochen zu sehen, inklusiv Tagebuchtexten

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