: Ein dicker Pulli für die Kunst
■ Künstleraustausch Bremen-Belfast: Aisling O'Beirn webt Geschichte wie Klamotten
Aisling zieht ihren großen Pulli noch ein wenig länger. „Kleidung verrät viel über die Menschen“, bibbert sie. Ein Gang über den Weserflohmarkt und sie wußte: „Die Leute hier verschließen sich richtig; alles macht sich fertig für den Winter“. Sogar aus ihrem eigenen, dicken Pulli kann Aisling kleine Geschichten herauslesen, über das Fischervolk ihrer irischen Heimat, deren Weisen und Bräuche uvam. Aber dann ist es wiederum auch ganz einfach saukalt hier in Bremen und der Pulli ganz einfach lebensnotwendig. Seit vier Wochen ist Aisling O'Beirn aus Belfast zu Gast in der Stadt, auf Einladung von Bremer KünstlerInnen, und seither ist es nur kalt und kälter geworden. So ist nun eine Kunst entstanden, die schützt, einhüllt und vor allem: Wärme spendet.
Handschuhe, Schirme, Jacken, Schuhe liegen in der Druckwerkstatt herum. Keine echten Kleider, sondern Papierobjekte, bedruckt und fachgerecht vernäht. Dazwischen Aislings reale Klamotten. Im Hinterhäuschen der Neustädter „Werkstattgalerie“ führt sie ein wenig das Leben einer Klausnerin, die schafft und schläft und schafft - einen Monat lang, dann muß die Galerie gefüllt sein. Das war die Abmachung: Drei KünstlerInnen aus Belfast bekommen Kost & Logis in Bremen; im April reisen dann drei heimische KollegInnen nach Nordirland, um dort im Old Museum ihre besondere Sicht der zeitgenössischen Druckgrafik zu veranschaulichen. Und da liegen Belfast und Bremen gar nicht weit auseinander.
Auf das Bedrucken von Bütten wollen sich jedenfalls alle Beteiligten nicht beschränken. „Normalerweise drucken viele Künstler ja nur auf Papier“, bedauert Aisling. Schön säuberlich gerahmt könnte sie sich ihre Arbeiten aber nicht recht vorstellen: Sie ist ausgebildete Plastikerin; ihre Vorliebe für eine zeichenhafte Formensprache brachte sie irgendwann drauf, ihre Objekte mit aufgedruckten Radierungen zu kombinieren.
Und auch die Zeichen selbst dürften in beiden Städten gleichermaßen verstanden werden. Aisling liebt „images from the sea“: Anker, Seile, Netze, Muscheln tauchen auf ihren Objekten auf. Signale, die einen „bestimmten irischen Geruch besitzen“, die aber auch den hanseatischen Kunstgenießer erwärmen dürften. Natürlich gibt es auch Geschichten, die dem eiligen Bremer verschlossen bleiben werden. Daß z.B. die großen Papierbahnen, auf denen Aisling ihre Geschichten entfaltet, an den historischen „Blanket Protest“ der 70er Jahre erinnen. Daß die Schuhe, die nun als Papiernachbildungen in der Galerie liegen, im einfachen Volk als besonderer Luxus galten. Und was erst die Muster in Aislings Pulli alles erzählen könnten.
Daß solche historischen Hintergründe den meisten Bremern wohl nicht geläufig sein dürften, sieht Aisling allerdings nicht als problematisch an. Über den Kopf läßt sich ihre Kunst ohnedies nicht restlos entschlüsseln: Wer seine sieben Sinne ausfährt, kann hier Salz schmecken, Gischt riechen und ein leichtes Kratzen im Halse spüren. „Atmosphäre“ ist eins von Aislings Lieblingsworten. Die bringt sie wunderbar rüber.
Zeit für große Erklärungen hat sie derzeit sowieso nicht. Vier Wochen, das ist eine kurze Zeit für eine ganze Ausstellung. Aber auch eine gute Zeit. Wie ihre Vorgänger, lobt Aisling das Bremer Gastatelier und die Chance, weitab des gewohnten Ateliers mal ganz konzentriert zu arbeiten: „Manchmal ist es einfach gut, sich ganz spontan entscheiden zu müssen, statt tagelang über die Kunst zu reden und Kaffee zu trinken.“ tom
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