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Ein bißchen Frieden statt ein bißchen Wahlkampf

■ Grüner Wahlparteitag gegen friedenserzwingende Militäreinsätze. Duo Trittin und Fischer wird von Delegierten überstimmt. Spritpreis von fünf Mark ist mehrheitsfähig

Magdeburg (taz) – „Eine Steilvorlage für den politischen Gegner“, reagierte die grüne Parteisprecherin Gunda Röstel. „Das zeigt das soziale Herz der Grünen: Sie haben Erbarmen mit Helmut Kohl“, spottete Fraktionschef Joschka Fischer. Im Streit der Grünen um Kampfeinsätze hatte die Parteispitze am späten Samstag abend eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen – die Basis triumphierte. Mit der denkbar knappen Mehrheit von 275 zu 274 Stimmen lehnten die Delegierten des Bundesparteitages einen Antrag ab, mit dem die Parteiführung ihre bisherige strikt ablehnende Haltung gegenüber friedenserzwingenden Maßnahmen aufgeben wollte. Die deutsche Beteiligung an einem Bosnieneinsatz sei „ein schwieriger und immer wieder neu zu entscheidender Ausnahme- und Konfliktfall“, hieß es in dem Antrag. Doch obwohl die Initiative von der ungewöhnlichen Allianz Fischer/ Trittin getragen wurde, scheiterte sie an der pazifistisch orientierten Mehrheit.

Mit dieser „Steilvorlage“ sieht Fischer seine Ministerambitionen vorerst ins außenpolitische Aus gekickt. Mit dem Beschluß sei dokumentiert worden, daß „wir in einer wichtigen außenpolitischen Frage gespalten sind“, sagte er. Damit sei er nun auch die Außenministerdiskussion los. „Den morgigen Tag lasse ich beim Zeitungslesen eher ausfallen“, faßte Fischer sein Unbehagen zusammen.

Nach der Abstimmung war die Parteiführung um Schadensbegrenzung bemüht. Das Ergebnis sei bedauerlich, so Kerstin Müller, doch davon gehe die Welt nicht unter. Die Fraktionssprecherin machte deutlich, daß sich ihre Kolleginnen an das Parteitagsvotum nicht gebunden fühlten, wenn der Bundestag über die Verlängerung des SFOR-Mandates abstimmt. Für die siegreichen Gegner des Antrags brachte Christian Ströbele die Erwartung zum Ausdruck, daß die Fraktion eine Verlängerung des Einsatzes ablehnen wird.

Zuvor hatten die 750 Delegierten das Wahlprogramm verabschiedet. Darin ist auch die Forderung nach fünf Mark für einen Liter Benzin enthalten. Dies war bis zum Schluß umstritten, weil sie nach Ansicht vieler Delegierter dem Wähler nicht zu vermitteln sei. Letztendlich setzte sich jedoch die Einsicht durch, daß ein Streichen der Forderung unglaubwürdig sei. Fischer zuversichtlich: „Das fechten wir gemeinsam mit Erfolg aus.“ In seiner Rede forderte der Fraktionschef eine veränderungsbereite Regierungsmehrheit. Wenn Rot-Grün mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ernst machen wolle, „brauchen wir eine ökologische Steuerreform“. Fischer warnte davor, „das Fell des Bären zu verteilen, solange dieser noch brummt“. Zugleich sprach er sich dagegen aus, ihn als Spitzenkandidaten zu nominieren.

Mit heftiger Kritik reagierten die Bonner Koalitionsparteien auf die Vorstellungen der Grünen. Außenminister Kinkel (FDP) erklärte, Deutschland dürfe nicht „außen-, wirtschafts- und sicherheitspolitischen Geisterfahrern“ überlassen werden. Verteidigungsminister Rühe (CDU) sagte, die Beschlüsse zielten „auf die Zerstörung der Bundeswehr und des großen sicherheitspolitischen Konsens“ in Deutschland ab. Auch aus der SPD kam Gegenwind. Kanzlerkandidat Schröder sagte, ein Benzinpreis von fünf Mark sei mit ihm nicht zu machen. SPD-Fraktionschef Scharping nannte die außenpolitischen Vorstellungen der Grünen „absurd“. Dieter Rulff

Tagesthema Seite 3, Debatte Seite 12

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