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PORTRAITEin „aufgeblasener Wicht“

■ Premierminister Bérégovoy ist der Liebling der Pariser Börsianer/ In seiner eigenen Partei hat er viele Gegner

Paris (taz) — Jetzt hat er es doch noch geschafft. Seit Jahren wünscht sich Pierre Bérégovoy das Amt des Premierministers. Nun hat Präsident Mitterrand ihn zum Retter in der Not erkoren. Zweifel, ob er der Aufgabe gerecht werden kann, plagen den 67jährigen bisherigen Wirtschafts- und Finanzminister nicht. Bérégovoy ist überzeugt, daß die Tugenden, die ihn hochgebracht haben, auch seine Partei aus der Talsohle holen werden: Fleiß, Ausdauer und Pragmatismus.

Der Mann ist das Musterbeispiel eines Autodidakten. Als Sohn eines Ukrainers und einer Französin verließ er die Schule im Alter von 15 Jahren, um Schlosser zu werden. Heute ist er als Verteidiger eines starken Franc anerkannt. Mit seiner orthodoxen Sparpolitik hat er die Wirtschaft gestärkt, den Tribut dafür haben die Angestellten bezahlt. Sein Stolz: Frankreichs Inflationsrate ist neuerdings geringer als die deutsche. Kehrseite der Medaille ist die zunehmende Arbeitslosigkeit, die inzwischen 10 Prozent — oder drei Millionen Menschen — erreicht hat.

Es klingt überraschend, aber der sparsame Wirtschaftsminister wird als Regierungschef dennoch als „soziale Lösung“ bezeichnet. Bérégovoy soll mit sozialen Maßnamen einen Teil der verlorenen linken Wählerschaft zurückgewinnen. Nur er — so das Kalkül Mitterrands — der Liebling der Pariser Börsianer und Industriellen kann großzügig ins Portemonnaie greifen kann, ohne die Wirtschaft zu verunsichern. Tatsächlich hat Bérégovoy schon Vorsorge getroffen: Still und leise hat der bisherige Finanzminister vom diesjährigen Ausgabenbudget 15 Milliarden Francs eingefroren, die seinen Spielraum als Premierminister erweitern. Zudem will er offenbar vermehrt Kredite aufnehmen und das Haushaltsdefizit wachsen lassen. Weiter vorgesehen sind Teilprivatisierungen, Steuererleichterungen und die Senkung der Mehrwertsteuer. Seit einigen Monaten spricht sich Bérégovoy auch für eine Erleichterung der Teilzeitarbeit aus.

Bérégovoy verkörpert den wirtschaftlichen Lernprozeß der unter Mitterrand regierenden Sozialisten, die 1983 von der Idee sozialer Gerechtigkeit weitgehend Abschied nahmen. Bei Teilen seiner Partei stößt er damit auf Ablehnung. Der Flügel um den bisherigen Bildungsminister Jospin macht ihn für das soziale Defizit der Sozialisten verantwortlich. Auch Bérégovoys Amtsvorgängerin Cresson hatte „den aufgeblasenen Wicht“ bezichtigt, er sabotiere ihre sozialen Projekte.

Als Premierminister muß er ein weiteres altes Talent hervorkramen: Bérégovoy galt einmal als Verhandlungskünstler, als Verteter der PS hatte er 1977 mit der Kommunistischen Partei das „gemeinsame Programm“ ausgehandelt. Diese Fähigkeit braucht er nun, um seiner Regierung neue Mehrheiten zu verschaffen. Denn im Parlament verfügen die Sozialisten nur über die relative Mehrheit und sind auf Unterstützung angewiesen. Daß er die verzweifelte Lage der Sozialisten bis zur Parlamentswahl in einem Jahr umkehren und Mitterrand eine neue Mehrheit beschaffen kann, wird ihm weniger zugetraut. Bettina Kaps

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