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Ein Zaun als Pille gegen Angst

Die israelische Regierung will Jerusalem zum Schutz vor Anschlägen einfrieden. Gleichzeitig soll das Stadtgebiet vergrößert, jüdische Siedlungen und palästinensische Dörfer sollen eingemeindet werden. Ein Drittel der Bewohner sind heute Araber

aus Jerusalem ANNE PONGER

Nach den Selbstmordanschlägen wurde in der Bevölkerung wieder danach gerufen, er wurde von Politikern versprochen, und am Sonntag soll mit seiner Errichtung begonnen werden: Ein Trennzaun um den Großraum Jerusalem soll Schutz gegen vom Westjordanland eindringende Terroristen bieten.

„Ein plumper Versuch, die Geografie der Angst zu markieren, mit Valium gegen die nagende Verzweiflung“, sagt Meron Benvenisti, Vizebürgermeister unter Teddy Kollek. Er ist einer der intimsten Kenner der Verzwicktheiten Jerusalems. Der Zaun sei ein Beweis dafür, wie unfähig Entscheidungsträger seien, Ideologie und Pragmatismus unter einen Hut zu bringen.

Seit dem Sechstagekrieg von 1967, in dem Jerusalem vollständig unter israelische Kontrolle geriet, haben Politiker anstelle von Stadtplanern die Grenzen Jerusalems definiert. Das Ergebnis ist eine desintegrierende, über weite Gebiete ausufernde Stadt, ein Flickenteppich von jüdischen Wohnvierteln zwischen arabischen, ehemals jordanischen Dörfern. Die Verwischung früherer Grenzen und die Vermischung von Juden und Arabern sollte Israels Anspruch auf ganz Jerusalem als „auf ewig unteilbare Hauptstadt“ zementieren.

Die jordanische Provinzstadt Jerusalem war 1967 nur 7 Quadratkilometer groß, wovon die Altstadt einen Quadratkilometer umfasste, während die israelische Kapitale Westjerusalem eine Kleinstadt von 37 Quadratkilometern war. Nach der israelischen Eroberung des Westufers ergab sich die goldene Gelegenheit, die Grenzen Jerusalems nach Norden, Osten und Süden zu verschieben, die Stadt zu annektieren und damit die Grenzen Israels zu erweitern. Im Handumdrehen wuchs die Fläche Jerusalems auf über 120 Quadratkilometer an. Dutzende von unterentwickelten arabischen Dörfern ohne Wasser, Straßen und minimalste Infrastruktur wurden eingemeindet.

Als im Dezember 1969 US-Außenminister William Rogers in seinem Friedensplan vorschlug, Teile Ostjerusalems an Jordanien zurückzugeben, reagierte Israel panisch: mit dem Bau eines Rings von jüdischen Vorortsiedlungen in ehemals jordanischem Gebiet – Ramot, Neve Jaakov, French Hill, Ramat Eschkol und Gilo – schuf man „unverrückbare Tatsachen“ und sprach das Todesurteil über den Rogers-Plan. Die Judaisierung Ostjerusalems begann. Heute erstreckt sich die „Metropole Jerusalem“ über 200 Quadratkilometer.

Zehn Jahre dauerte der Prozess, der 8 Millionen Dollar kostete. Alles Geld für die Entwicklung einer Infrastruktur in Jerusalem wurde in die neuen Wohnsiedlungen gesteckt. 200.000 Juden wurden in Ostjerusalem angesiedelt. Die hektische israelische Bautätigkeit, die praktisch ausschließlich von Arabern durchgeführt wurde, hatte in den Siebzigerjahren den Zuzug von Lastwagenunternehmen, Zementlieferanten, Steinmetzen und Maurern aus den Palästinenserstädten Hebron, Ramallah und Nablus ins Rollen gebracht. Durch eine überdies hohe Geburtenrate sowie durch Jerusalems Ausweitung bis fast nach Ramallah im Norden, Bethlehem im Süden und bis hinein in die judäische Wüste im Osten stieg die Zahl der Araber von 30.000 im Jahr 1967 auf heute 220.000 an – mittlerweile 33 Prozent der Gesamtbevölkerung.

„Mit einem hat Bürgermeister Ehud Olmert Recht“, sagt Mosche Amirav, ehemaliger Stadtrat für Verkehr von der Schinui-Partei, „man kann heute keinen Zaun mehr mitten durch die Stadt ziehen.“ Dagegen spräche nicht nur die Regierungsideologie, sondern der Widerstand aller Bürger und die demografische Vermischung.

Amirav, der seine Doktorarbeit über die jüngste Geschichte Jerusalems geschrieben hat, war im Herbst 2000 von Ministerpräsident Ehud Barak beauftragt worden, Jerusalem für den Friedensfall als Doppelhauptstadt vorzubereiten. Amiravs Team von Israelis und Palästinensern hatte eine Vision von Jerusalem als offener Stadt zu Papier gebracht. Das Modell war Brüssel gewesen, gleichzeitig Hauptstadt Belgiens und Europas mit einer ethnischen Mischung aus Flamen und Wallonen.

„Wir hatten die Idee, Israel über Jerusalem mit dem Westufer zu verbinden, neue wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen, den (jordanischen) Flughafen Kalandia für Israel und Palästina, für Passagiere aus USA wie aus Saudi-Arabien nutzbar zu machen, alle Botschaften sowohl nach West- als auch nach Ostjerusalem zu holen – kurz: Jerusalem unter Doppelsouveränität zum gemeinsamen Projekt zu machen“, sagt Amirav. „Wir hatten das bis ins Detail – wie Bezahlung von Strafmandaten von Palästinensern in Westjerusalem, von Israelis in Ostjerusalem – durchgeplant.“

Wer heute einen Zaun um Jerusalem baue, habe das entgegengesetzte Ziel vor Augen, nämlich Jerusalem auf den permanenten Krieg vorzubereiten, meint Amirav. Da der Zaun östlich der jüdischen 25.000-Seelen-Siedlung Maaleh Adumim verlaufen soll, werden zusätzliche Dörfer mit weiteren 80.000 Palästinensern „integriert“. Da die politischen Spannungen in Jerusalem immer stärker zum Zentrum des Konflikts werden, hält Amirav 300.000 Palästinenser innerhalb des Zauns für keine geniale Idee.

Ein Viertel aller Anschläge während der derzeitigen Intifada wurde in Jerusalem verübt, wenn auch bisher nicht von Ostjerusalemer Palästinensern, sondern von Eindringlingen aus dem Westjordanland. Bei wachsender Diskriminierung, Entfremdung, Feindschaft und Frustration könnte sich die Stimmung dramatisch verschlechtern. „Die Zaunidee mag für ratlose Israelis einen Trost darstellen,“ sagt Amirav, „doch die Lösung muss eine politische sein.“

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