: Ein Westtraum auf unsicheren Planken
■ 106 Botschaftsflüchtlinge aus Albanien warten auf einem Hamburger Wohnschiff auf Eingliederungshilfen / Rückkehr oder Exil? / Zwei Lager auf dem Schiff? / Durim! - nur Geduld, so die Albaner, und hoffen auf westlichen Lebensstandard
Aus Hamburg Lisa Schönemann
Ilir Hoxha hat zehn Jahre lang darauf gewartet, daß er das Land verlassen kann. „Durim! Durim!“ - nur Geduld, sagt er. Es mache ihm nichts aus, lethargisch in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg zu verharren. „Ich werde bald Arbeit haben“, davon ist der 34jährige Albaner überzeugt. Zusammen mit 106 Landsleuten ist er auf dem Wohnschiff „Bibby Endeaver“ untergebracht, das im Fischereihafen festgemacht hat. Für diese Zwecke verfügt die Hansestadt über eine Flotte von insgesamt drei schwimmenden Lagern mit rund fünfzehnhundert Plätzen.
Von weitem mutet die Flüchtlings-Dschunke wie ein Stapel grauer Container mit Gucklöchern an. Trostlos wie die letzte stalinistische Bastion, der die Albaner den Rücken kehren wollten, als sie über die Mauern der deutschen Botschaft in Tirana kletterten. „Wir haben immer auf einem Floß gelebt, gestern wie heute.“ Ilir Hoxha läßt sich nicht verunsichern. Unterdessen streiten Bund und Länder über den zukünftigen aufenthaltsrechtlichen Status der Botschaftsflüchtlinge.
Die Albaner sprechen kein Wort Englisch oder Deutsch. Einige stehen westlich gekleidet stolz den halben Tag lang an der Gangway und halten Ausschau nach dem Neuanfang. Andere lungern kartenspielend in den schmalen Kojen, haben seit der Ankunft weder die dunkelblauen Trainingsanzüge der Hilfsorganisationen noch ihre verunsicherten Gesichtszüge abgelegt. Heimlich hegen sie den Wunsch, umkehren zu können.
Auch dem 27 Jahre alten Skender Muca und seiner Frau gelang via deutscher Botschaft die Ausreise. „Wie Tag und Nacht“ sei der Unterschied zwischen dem Balkanland und der Bundesrepublik, ein Vergleich unmöglich, schütteln die Albaner den Kopf und verweisen mit leuchtenden Augen auf die Plüschtiere, die sie auf dem Rummelplatz gewonnen haben.
Ein anderer Westpionier ist Schuster und fragt nach einer Arbeit in einer Schuhmacherei, um später ein Restaurant aufmachen zu können. Daß er eine Arbeitserlaubnis braucht und diese wiederum davon abhängt, ob er als Kontingentflüchtling oder als Asylbewerber eingestuft wird, hat ihm bisher niemand auch nur angedeutet. Skender Muca zieht die Augenbrauen zusammen: „Wir sind Immigranten“, sagt er optimistisch und möchte an seiner Traumvorstellung vom zukünftigen westlichen Lebensstandard nicht rütteln lassen.
Die leise Stimme eines älteren Albaners dämpft die Euphorie seiner Landsleute: Arbeitslosigkeit. Mietwucher. Rauschgift. So lauten die Stichworte, die er über die neue Welt vernommen hat. „Jo mir“ - nicht gut, zweifelt er. Fünf Albaner haben einen Antrag auf Rückführung gestellt. Der 29jährigen Pranvera Duka fallen büschelweise die Haare aus. „Das kommt vom Kummer“, erzählt sie, weil sie ihre kleine Tochter in Tirana zurücklassen mußte. Auf dem einzigen Regal in der engen Kabine stehen drei verschiedene Haarshampoo -Flaschen. Die hat sie von den 200 Mark Taschengeld gekauft hat, das die Albaner monatlich erhalten.
Rückkehr oder Exil? Streit? Spaltung in zwei Gruppen? „Nein, nein“, fuchtelt ein auf dem Gang angesprochener Albaner erregt mit den Armen und will nicht zugeben, daß die Rückreisewilligen auf dem Schiff mißtrauisch beäugt werden. Ob er sich vorstellen kann, daß von den regierungsloyalen, in die Botschaft geschleusten Provokateuren auch welche auf der „Bibby Endeaver“ gelandet sind? Schweigen. Und neulich, als ein Albaner mit einem Taschenmesser auf einen Landsmann losgegangen ist? „Da ging es um ein Mädchen“, beschwichtigt der Mann. Wie eine Betreuerin bei der Kleiderausgabe beobachtet hat, ist „die Solidarität unter den Albanern gleich Null“.
Abends kommen in Hamburg lebende Kosovo-Albaner zum Elbufer und beschimpfen die Botschaftsflüchtlinge, ihre Heimat verlassen zu haben. Über die Reling hinweg hält Ilir Hoxha den aufgebrachten Männern ihr „völlig falsches Bild“ von der albanischen Realität unter dem Diktator Ramiz Alia vor. Grenzflüchter wurden grundsätzlich erschossen. Nur einem einzigen seiner Schulfreunde, erinnert sich der 34jährige, sei es gelungen, aus dem Land der Skipetaren zu fliehen. „Er schwamm neun Stunden lang durch einen Grenzfluß und einen See nach Jugoslawien.“ Nur weil dessen Mutter in Albanien eine geschätzte Sängerin war, sei die Familie später nicht verschleppt worden, rückt der gelernte Maurer heraus. Obwohl er die Frage nach den Lagern erst nicht verstehen will, erkennt er den auf ein Stückchen Papier aufgemalten Stacheldraht und nickt. Zeichen, die er versteht.
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