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Ein Westchef für die IG Chemie Ost

Köpenick. Im Nebenraum, in dem noch Reste des kalten Buffets vor sich hin gammelten, rauften sich die Herren der Mandatsprüfungskommission die Haare. Nicht siebenundzwanzig der vierundachtzig Anwesenden der neuen „Bezirksdelegiertenversammlung Berlin-Brandenburg der IG Chemie, Glas, Keramik“ waren weiblichen Geschlechts sondern bloß sechsundzwanzig. Ein Übermittlungsfehler hatte aus einem Marian eine Marion gemacht.

Drinnen im Versammlungssaal der Fotochemischen Werke Köpenick, in dem zu Veranstaltungsbeginn die IG-Chemie-Chefs von Ost- und Westdeutschland - Hartmut Löschner und Herrmann Rappe - kurze Begrüßungsansprachen hielten, sprach nun Jürgen Wingerfeld von der Westberliner IG Chemie. Er beklagte die Hilflosigkeit vieler Betriebe, mit der Umstellungsphase fertigzuwerden. Auch spielten „die Arbeitsämter häufig ebenfalls eine klägliche Rolle“. Es sei „dringend an der Zeit, daß die Beiräte der Arbeitsämter ihre Tätigkeit aufnehmen“. Auch an den derzeitigen Geschäftsführern der ehemaligen VEB-Betriebe ließ er kaum einen guten Faden: „Gestern noch überzeugter Kommunist und willfähriger Helfer der SED - heute spielen sich diese Herren gegenüber den Arbeitnehmern in den Betrieben als die perfektesten Manchester-Kapitalisten auf.“ Dann ging er auf die zur Zeit in der DDR grassierende „GmbH-Gründungsseuche“ ein. Wingefeld: „Der Wunderglaube, daß mit der Parzellierung der Betriebe in viele GmbHs sich bereits der Erfolg einstelle, kann einen um den Schlaf bringen. Betriebsteile, die ausgegliedert und in eine eigenständige GmbH überführt werden, machen doch nur dann Sinn, wenn die Betriebe nicht nur einen Auftraggeber - den bisherigen Betrieb haben.“

Dann wurde der neue Vorsitzende gewählt. Einziger Kandidat: Jürgen Wingerfeld aus West-Berlin. Bevor alle die Delegiertenkarten in die Höhe streckten, fragte ein Anwesender leicht verschüchtert, ob denn der Kollege W. überhaupt schon Mitglied der DDR-Gewerkschaft sei. Er war es, und so stand seiner einstimmigen Wahl nichts mehr im Wege.

o.k.

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