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Ein Weg in die Gewalt

■ Gerry Adams, IRA-Kämpfer und Sinn-Féin-Vorsitzender, über sein Leben

Gerry Adams' Name löst nicht nur in England, sondern auch in seiner Heimat Irland, bei vielen immer noch Schüttelfrost aus. Und dies nicht nur bei Protestanten. Schließlich steht Adams der Sinn-Fein-Partei vor, die man den „politischen Flügel“ der IRA nennt, und soll in den Siebzigern selbst den Abzug betätigt haben.

Adams wurde damals verhaftet, dann aber wieder freigelassen, um an Verhandlungen mit der britischen Regierung teilzunehmen. Einer seiner damaligen Gegenüber, Frank Steele, erinnerte sich mehr als 20 Jahre später, statt des angekündigten zornigen jungen Mannes „einen sympathischen, intelligenten, artikulierten und überzeugenden Mann“ erlebt zu haben.

Einige Zeit nach den Verhandlungen wurde Adams erneut verhaftet, um die folgenden vier Jahre hinter Gittern zu verbringen. Aus seiner IRA-Vergangenheit macht der Autobiograph keinen Hehl, wenngleich er an keiner Stelle konkret wird. Dafür ist die Zeit noch nicht gekommen. Adams hat kein Buch für politische Voyeure geschrieben.

Er beginnt eher schleppend und auf den ersten Blick unpolitisch, indem er seine Kindheit in einer katholischen Unterschichtsfamilie Revue passieren läßt. Sein Vater war Bauarbeiter, seine Mutter, geborene Hannaway, verdingte sich in einer der vielen Leinenwebereien, die es damals in Belfast – auch „Linenpolis“ genannt – gab. „Wir waren arm, aber das war egal, wenigstens uns Kindern. Wir kannten nichts anderes, und wir waren zu beschäftigt, um es zu bemerken. Außerdem waren alle anderen, die wir kannten, ebenfalls arm.“

Einen Großteil seiner Jugend verbrachte Adams in Ballymurphy, einer Anfang der Fünfziger entstandenen Siedlung im katholischen/nationalistischen Westen Belfasts und am Fuße des Mountain Divis. Nach dem Ausbruch der troubles wurde „The Murph“ zu einer IRA-Hochburg.

Die Familien Adams und Hannaway gehörten der lokalen „republikanischen Aristokratie“ an, jener kleinen Gruppe Unentwegter, die auch in der Zeit, als die republikanische Sache kaum Gehör fand, das Fähnlein hochhielten. Die Stärke des Buches liegt darin, daß es in unaufdringlicher Weise verständlich macht, wie junge Katholiken Ende der Sechziger in militante Aktivitäten hineinrutschten.

Der Ausbruch der Unruhen setzte der Normalität ein Ende. Als Nordirlands Katholiken auf die Straßen gingen, um ihre Gleichstellung mit der protestantischen Mehrheit einzuklagen, löste dies eine Entwicklung aus, die viele der führenden Köpfe der Bürgerrechtsbewegung so nicht erwartet hatten. Die protestantische Mehrheit reagierte mit Pogromen, gedeckt und unterstützt von der Polizei. Die britische Armee intervenierte, schlug sich jedoch schon bald auf die Seite der Mehrheit, indem sie versuchte, die Minderheit einseitig zu entwaffnen. Die Brutalität der Soldaten forcierte die Militarisierung des Konflikts.

Adams' Schilderungen haben mich so wütend gemacht wie schon lange nicht mehr. Wütend auf die unerträgliche Arroganz der Mächtigen, durch deren Haltung erst der Griff zum Gewehr in den katholischen Ghettos eine Befreiungstat wurde. Ein Leser, der wie ich (gerade aufgrund persönlicher Eindrücke in Nordirland) eine prinzipielle Position der Gewaltfreiheit vertritt, wird sich von Adams provoziert fühlen: „Für viele Leute ist die Anwendung von Gewalt eine akademische Frage, da sie kaum je in Situationen geraten, in denen sie derart schwerwiegende Entscheidungen treffen müssen.“ Zur Zeit sitzen in den nordirischen Gefängnissen noch immer über 1.000 „terroristische Straftäter“. Die überwiegende Mehrheit dieser Gefangenen, die zirka 60 Prozent der nordirischen Gefängnisinsassen ausmachen, wurde durch eine katastrophale Regierungspolitik in bewaffnete Aktionen getrieben. Nicht von ungefähr zählen heute viele ehemalige Gefangene zu den politisch und sozial engagiertesten Mitgliedern der nordirischen Gesellschaft.

Adams ist kein Dogmatiker: „In Irland hat die Anwendung physischer Gewalt eine lange und starke Tradition, und wer sich ihrer bedient, besonders auf republikanischer Seite, trägt eine enorme Verantwortung, die Gewalt zu beenden, sich anderer Kampfformen zu bedienen und zu versuchen, diese – wenn möglich – an die Stelle des bewaffneten Kampfes zu setzen. Niemand sollte dogmatisch am bewaffneten Kampf als Taktik festhalten und niemand ihn romantisieren.“

Vor allem aber gehört Adams zu den wenigen Politikern, bei denen persönliche Integrität und politische Strategie eine glaubwürdige Einheit bilden. Sein Buch trägt viel zum Verständnis der Gewalt in Nordirland bei. Und obendrein ist der Sinn-Féin-Präsident noch ein guter Erzähler. Dietrich Schulze-Marmeling

Gerry Adams: „Bevor es Tag wird. Autobiographie“. Aus dem Englischen von Jürgen Schneider. Verlag Volk & Welt, 384 Seiten, geb., 45 DM

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