: Ein Wasserkraftwerk ist kein Holocaust-Denkmal
■ Baustelle in Oberösterreich birgt Skelette von vermutlich jüdischen KZ-Opfern
Wien (taz) – Bei Bauarbeiten für ein Wasserkraftwerk in Oberösterreich ist ein Massengrab aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt worden. Zehn Skelette wurden inzwischen exhumiert und von Experten des Wiener Innenministeriums untersucht. Nach ersten Erkenntnissen handelt es sich bei den Toten vermutlich um ungarische Juden, die kurz vor der Befreiung im Mai 1945 auf einem Todesmarsch ins nahe gelegene Außenlager des KZ Mauthausen umgekommen sind. Die männlichen Leichen im Alter von etwa 20 Jahren sind in vier Gräben in zwei Meter Tiefe vor 50 Jahren genau an der Stelle verscharrt worden, an der schon seit Wochen für das Turbinenhaus eines neuen Kraftwerks gegraben wird.
Bisher haben die Behörden den Fund geheimgehalten. Sollte es sich nämlich wirklich um ein Massengrab jüdischer Häftlinge handeln, müßte der Bau des Kraftwerks eingestellt werden, denn nach der jüdischen Religion ist eine Umbettung Verstorbener nicht erlaubt. Die Kraftwerksbetreiber spekulieren aber offenbar auf eine Regelung im österreichischen Kriegsgräbergesetz aus der Nachkriegszeit, das bei „öffentlichem Interesse“ eine Exhumierung der Toten und Bestattung auf einem anderen Friedhof zuläßt. Deshalb hat die Elektrizitätsgesellschaft inzwischen siegesgewiß verkündet, bei den Toten handele es sich höchstwahrscheinlich um deutsche Kriegsgefangene, die von den Alliierten hier begraben worden seien.
Sollte es sich bei den Toten nicht um jüdische Opfer handeln, wäre die Angelegenheit also weniger heikel. Sichere Aussagen über die Identität der Toten konnte auch eine Expertenkommission aus Historikern und Beamten des Innenministeriums bis gestern nachmittag nicht machen. Während die Kommission die Skelette untersuchte, wühlten die Bagger in unmittelbarer Nähe weiter.
Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) bleibt unbeirrt: Man müsse eben das Turbinenhaus verlegen und die Fundstelle des Massengrabs einfach aussparen. Nötigenfalls müsse eben ein Mahnmal errichtet werden, meint er lapidar. Sollte das Projekt wie bisher geplant weitergebaut werden, wäre eine weiträumige Überflutung der betroffenen Aulandschaft und damit auch der Gräber notwendig. Das Kraftwerk ist in Österreich schon lange heftig umstritten, die Position der Befürworter auch deshalb besonders kompromißlos. Umweltschützer protestieren mit Blockaden und Besetzungsaktionen schon seit Wochen gegen die Bauarbeiten. Landeshauptmann Pühringer vor einigen Tagen: „Wir werden dafür sorgen, daß nicht die Verhinderer in diesem Land die Oberhand bekommen.“
Inzwischen hat das Parlament in Wien allerdings zu einem Baustopp um die Fundstelle herum aufgerufen. Die Grünen sprechen von Pietätlosigkeit. Der Präsident der Jüdischen Kultusgemeinde, Paul Groß, nennt die Pläne, um das Massengrab herum ein Elektrizitätswerk zu bauen, „makaber“ und sagt: „Es darf das Schicksal dieser Toten nicht abhängig gemacht werden von angeblichen Notwendigkeiten, die sich aus diesem Kraftwerksbau ergeben.“ Daniel Asche
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