: Ein Ultimatum folgt dem nächsten
■ Russische Angriffe fordern viele Opfer. Tschetschenische Rebellen wollen nicht abziehen. Zehntausende Zivilisten fliehen vor den Kämpfen in die Nachbarrepublik. Moskaus Verteidigungsminister in Grosny
Alchasurowo/Grosny (AFP/ taz) – Bei russischen Angriffen auf die südtschetschenischen Dörfer Alchasurowo und Goiskie sind zahlreiche Zivilisten getötet worden. Eine Kolchose in Alchasurowo und das Zentrum des Nachbardorfes Goiskie seien in den vergangenen Tagen beschossen worden, berichteten Flüchtlinge aus beiden Orten gestern in Grosny. Die russische Armee drohte mit der Bombardierung der Dörfer und des Nachbarortes Komsomolskoje, falls die dort verschanzten Rebellen nicht bis heute früh abgezogen wären.
Nach dem russischen Ultimatum, das zunächst bis gestern morgen gegolten hatte, flohen Tausende von Zivilisten aus den drei Dörfern. Die Behörden von Alchasurowo erklärten, das Ultimatum sei verlängert worden, damit die Bewohner die Rebellen zum freiwilligen Verlassen des Dorfes bewegen könnten. Ein Rebellensprecher deutete aber an, daß die Kämpfer nicht abziehen wollten. Nach russischen Angaben hielten sich in den drei Orten insgesamt fünfhundert Unabhängigkeitskämpfer auf.
Ein AFP-Korrespondent berichtete, Rebellengruppen hätten in den vergangenen Tagen ohne jede Schwierigkeit den von russischen Truppen belagerten Ort Samaschki, 35 Kilometer westlich von Grosny, verlassen können, um nachts Waffen herbeizuschaffen oder Verletzte aus Samaschki herauszubringen.
Der Präsident der Nachbarrepublik Inguschetien, Ruslan Auschew, sagte laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax, mehr als 60.000 tschetschenische Flüchtlinge seien in den vergangenen Wochen in dem inguschetischen Bezirk Sunja eingetroffen, nachdem die russische Luftwaffe den Grenzort Sernowodsk bombardiert habe. Die Menschen würden in Zelten und S-Bahn-Wagen untergebracht. Auschew schloß nicht aus, daß die russische Armee auch Militäroperationen auf inguschetischem Gebiet plant. Er betonte, seine Republik sei „kategorisch gegen die Präsenz von Truppen in Tschetschenien und gegen die massive Tötung von Zivilisten seit Beginn des Konflikts“.
Der russische Verteidigungsminister Pawel Gratschow traf gestern zu einem Dringlichkeitsbesuch in Grosny ein. Er wollte laut Interfax den möglichen Rückzug russischer Einheiten prüfen. Gratschow kam mit dem Kommandeur der russischen Truppen in Tschetschenien, Wjatscheslaw Tichomirow, zusammen.
Die Spannung in Grosny hatte sich am Sonntag erhöht, nachdem ein russischer Armeekonvoi von einer Gruppe schwerbewaffneter Männer angegriffen worden war. Bei dem Feuergefecht wurden laut Interfax ein Soldat und fünf oder sechs Angreifer getötet. Daraufhin hatten russische Soldaten willkürlich das Feuer auf mehrere Autos eröffnet und Augenzeugen zufolge mehrere Zivilisten getötet. Die russische Armee erwartete seit Tagen einen erneuten Rebellenangriff auf Grosny. Die Truppen wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.
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