piwik no script img

Ein Tropfen auf den heißen Stein

■ Sozialverwaltung knöpft jährlich 2000 Wohnungen für Obdachlose, mißhandelte Frauen und Haftentlassene ab / Zentrale Koordinierungsstelle überwacht die Verteilung

Nach langen Verhandlungen ist es den Mitarbeitern der Sozialverwaltung jetzt gelungen, den Berliner Wohnungsbaugesellschaften jährlich 2.000 Wohnungen für Obdachlose oder akut von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen abzutrotzen. Das gab Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) gestern anläßlich der Eröffnung einer eigens dafür im Rathaus Schöneberg eingerichteten Zentralen Koordinierungsstelle bekannt.

Angesichts von rund 24.000 Menschen, die in Berlin in Notunterkünften wohnen – hinzu kommen noch 2.000 bis 4.000 Obdachlose –, sind die 2.000 Wohnungen zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Novum ist jedoch, daß damit endlich eine konkrete Zahl von Wohnungen festgeschrieben wurde, die nur an wirklich Bedürftige vergeben werden dürfen. Bislang gab es für solche Menschen lediglich den „Feuerwehrfonds“, der jährlich 300 Wohnungen anbot, sowie die sogenannten Kooperationsverträge. Letztere waren zwischen der Senatsbauverwaltung und den städtischen Wohnungsbaugesellschaften für 3.500 Wohnungen mit „Dringlichkeitsbedarf“ geschlossen worden. In der Praxis sah dies jedoch so aus, daß Obdachlose kaum Chancen hatten, denn die Wohnungsbaugesellschaften bevorzugten Anwärter, die nicht so ein erbärmliches Erscheinungsbild abgaben.

Aufgrund der zunehmenden Probleme beschloß der Senat nun, das sogenannte „Geschützte Marktsegment“ einzuführen. Dies sei ein schrecklicher Begriff, der bei einem Versprecher leicht zu einem „geschützten Sargsegment“ werde, witzelte Stahmer gestern. „Geschütztes Marktsegment“ bedeutet, daß sich die 19 städtischen Wohnungsbaugesellschaften vertraglich verpflichtet haben, der Zentralen Koordinierungsstelle jährlich 2.000 Wohnungen für wirklich Bedürftige zu melden. Diese gibt die Wohnungen dann an die bei den Sozialämtern der einzelnen Bezirke eingerichteten Vergabekommissionen weiter. Jene wählt pro Wohnung drei BewerberInnen aus, die dem Wohnungsunternehmen vorgestellt werden. Eine Vergabe an andere Kandidaten sei somit kaum noch möglich, meint Stahmer, weil die Koordinierungsstelle eine Kontrollfunktion ausübe.

Ganz oben auf der Liste der Anwärter für das „Geschützte Marktsegment“ stehen nach Angaben der Sozialsenatorin Räumungsbetroffene – Frauen, die in Frauenhäusern oder anderswo Zuflucht suchen mußten, sowie Personen, die aus stationären Einrichtungen wie Haft oder Krankenhaus in die Obdachlosigkeit entlassen wurden. Auch aus Heimen entlassenen Jugendlichen soll die Regelung zugute kommen sowie Leuten, die sich nicht selbst mit Wohnraum versorgen können und obdachlos sind. Priorität habe die Vermeidung neuer Obdachlosigkeit. Berücksichtigt werden sollten deshalb vor allem Menschen, die vom Verlust der Wohnung bedroht sind.

Die erste Unterkunft wurde der Koordinierungsstelle gestern bereits von einer Wohnungsgesellschaft aus Hohenschönhausen angeboten. Sie wird wahrscheinlich von einer bedürftigen Familie aus Weißensee bezogen werden. plu

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen